Das Geheimnis der Sprache (German Edition)
Vergleich setzen mit der Einheitsschule, die sich vielleicht einrichten läßt mit einer Wissensmenge, die allen Köpfen ohne Unterschied zugeführt werden kann. Aber die Einheits-Universität ist ein Unding, da jede Fakultät eine Hochschule für sich bedeutet, nicht nur im Stoff, sondern auch im Ausdruck. Die Sprache des Juristen wird eine andere als die des Theologen, diese eine andere als die des Arztes, des Chemikers, des Mathematikers. Ja innerhalb der Einzelfächer vollziehen sich Spaltungen, die einem gelehrten Alexandriner, einem Lionardo, und noch einem Descartes oder dem Allumspanner Leibniz völlig unfaßbar gewesen wären. Der Funktionentheoretiker, der Geometer, der Zahlentheoretiker gehen ihre eigenen Wege, in den Nachbarfächern entwickeln sich Sondergebiete, deren Vertreter kaum noch Notiz von einander nehmen können; wir haben leuchtende Genies der Wissenschaft, die kein Examen im Nachbarfach bestehen, nicht einmal den Vorlesungen im nächsten Hörsaal folgen könnten. Nicht anders ist es auf den technischen Hochschulen. Ein hervorragender Lehrmeister der Technik entwarf mir ein Bild, das zum mindesten auf eine nahe Zukunft zutreffen wird: Zwischen dem Ingenieur, der Brücken oder Krane oder Turbinen behandelt, klaffen Abgründe. Der eine sieht in der ganzen Welt nur Krane, dem andern ist sie ein Konstruktionsplatz nur für Brücken, für den Dritten verwandelt sich die Mechanik aller Geschehnisse in Turbinendrehungen.
Es wäre ein Wunder, wenn sich die Sprache allein dem Spaltungsprozeß entzöge, dem alle andern Geistigkeiten verfallen. Im Grunde genommen spaltet sie sich unter der Feder jedes Schaffenden, jedes Dichters, Wissenschaftlers, Zeitungsschreibers, und geschichtlich liegen ja aller Vielsprachigkeit der Erde Spaltungsprozesse zugrunde. Aber jede Landessprache für sich, vornehmlich das Deutsche, so meinen Viele, soll doch eine Einheit darstellen, soll sich möglichst auf nationale Ausdrucks- und Stilregeln festlegen, nach sprachlicher Monroe-Doktrin: Deutsch für die Deutschen. Vom Standpunkt des Staatsbürgers wäre dies ein höchst erstrebenswerter kategorischer Imperativ. Der Weltgeist fordert ein Anderes: Ihr Feld ist die Welt!
Es hätte keinen Zweck, hier den Maßstab nach Gut und Böse anzulegen und etwa vom Standpunkt des Nur-Deutschen zu erklären: wenn sich jene schon heute wahrnehmbare Teilung nach völkisch und international als unwiderruflich vollziehen sollte, so wäre dies sehr schlimm für die Sprache, ein Unglück für uns! Das Moralische versteht sich immer von selbst, sagt der große Tübinger, und sein Satz gehört zu den umkehrbar richtigen: Was sich von selbst versteht, ist immer moralisch. Hier ist etwas Naturnotwendiges, Selbstverständliches, es gehört zur moralischen Ordnung der Dinge, ist also wohl kein Unglück.
Auch kein Glück; eben nur Lebensbedingung, auf die wir uns einzurichten haben. War es ein Glück für die Schwalbe, daß sie Schwalbe wurde, nachdem sie in Vorzeiten Reptil war? oder ein Unglück für die Eidechse, daß sie Eidechse blieb? Weder das eine noch das andere vollzog sich an ihnen, sondern ein von der Natur gewolltes Gesetz. Und nur unser anthropomorpher Deutungstrieb verlockt uns, vom Glück der Schwalbe zu reden, weil sie fliegen kann. Immerhin könnte sich der Widerspruch melden: Die Eidechse genießt den Vorzug dauernden Erdgeruchs und unentwegter Bodenständigkeit; sie hat mehr Heimat.
Auch die zukünftige Internationalsprache wird fliegen können; und das zugehörige Rein-Deutsch wird mehr Heimat besitzen. Beide werden nebeneinander bestehen, als zwei Notwendigkeiten, wie der Nationalismus und der Internationalismus.
Kehren wir zum Vergleich mit den Stromläufen zurück, so wird es ihnen ergehen wie den Wasserläufen des Alpheus und der Arethusa im klassischen Lande. Scheinbar getrennt in ihren Flußbetten, bewahrten sie doch ihre Gemeinsamkeit, da man nichts in den einen schütten konnte, was man nicht bald nachher auch auf dem andern fluten sah. Arethusa beherbergt zudem eine lokale Nymphe, und an ihr mögen die Herren vom Sprachschutz ihre Verschönerungskünste treiben, soviel sie Lust haben; das wird dem Alpheus nichts schaden, der sich weniger ums Lokale bekümmert und ins offene Meer will.
Soll ich den Vergleich noch weiter ausdehnen? Ich könnte dann in einen Bereich gelangen, wo alle Küstenhoheit aufhört und der Freiheit der Meere die volle, einer geographischen Begrenzung entrückte Freiheit der Sprache entspräche.
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