Das Geheimnis der Sprache (German Edition)
Weltwort vor pedantischem Vordruck engbrüstiger Regeln, deren Urheber nichts von Freizügigkeit wissen. Unser Meister – er lebt glücklicherweise im überwältigenden Plural – kennt für sein Werk nur das Vorbild vom Vogelflug und Wolkenzug, und er gibt auf die Frage: wie erleichtern wir den Fremden das Erlernen der deutschen Sprache? nur die eine Antwort: durchs Weltwort! In ihm wird sich auf nationaler Grundlage die zweite Renaissance des Klassischen vollziehen, in gesteigerter Wirkung und erhöhter Schönheit einer Sprache, deren Feld die Welt sein wird!
Die werbende Kraft
Ein garstig Lied, pfui, ein statistisch Lied! die meisten Menschen hören es nicht gern pfeifen, da ihnen das Grundbekenntnis der Pythagoreer »das Wesen der Dinge ist die Zahl« noch nicht recht eingegangen ist. Zudem birgt die Statistik, sobald man einen bestimmten Beweisfall herausgreifen will, tatsächlich genug der Fußangeln und Fallstricke; besonders dann, wenn man keine Vorarbeit findet und darauf angewiesen ist, das Material auf allerhand Umwegen herbeizuschaffen.
Es gibt drei Arten von Lügen:
Die eine lügt zum Vergnügen,
Als Notlüge wandert die zweite durch's Land,
Die dritte wird »die Statistik« genannt.
Und dennoch ist sie in vielen Fällen nicht zu entbehren, wenn man sich nur das eine klarmacht: Eine statistische Aufmachung kann zu Fehlschlüssen verleiten, die Verleugnung jeder Statistik muß Fehlschlüsse bewirken. Und ferner: Zwischen Unrichtigkeit und Falschheit bleibt immer noch ein Unterschied. Es handelt sich um Näherungswerte, welche die Wahrheit zwar nicht erreichen, aber doch die Richtung erkennen lassen, in der die Wahrheit zu finden sein könnte.
Die Frage des gegenwärtigen Kapitels ist auf die werbende Kraft der Sprachbewegung gestellt, und wir wollen versuchen, mit aller gebotener Vorsicht, irgend einen zahlenmäßigen Ausdruck für diese Kraft zu gewinnen. Stellen wir uns in äußerster Verwegenheit vor: es wäre denkbar, es wäre möglich, die Zahl der heute umlaufenden Fremdworte festzustellen und mit der Zahl der Fremdworte zu vergleichen, wie sie vor zehn oder vor zwanzig Jahren umliefen: so besäßen wir ein Mittel, um das Kraftmaß der Bewegung zu erfassen. Das Verhältnis beider Zahlen würde uns zeigen: soviel Fremdworte sind verschwunden, das bedeutet so viel Prozent der Gesamtmasse, und in diesem Prozentsatz könnten wir das Maß der werbenden Leistung erblicken.
Aber dieser Weg ist nicht beschreitbar. Kein Verfahren bietet eine Möglichkeit, auf solche Weise auch nur einen Zipfel der Statistik zu erhaschen. Wir versuchen es daher mit einer anderen Methode, die zwar nicht bis zum Ziel hinführt, aber es doch wenigstens für den Fernblick kenntlich macht.
Vorerst legen wir uns die Zwischenfrage vor, was wohl zur Beurteilung der Sprachmasse wichtiger wäre: die Summe der Bücher oder die Summe der Zeitungen ? Liegt das Übergewicht, ganz im großen nach Masse und Zahl betrachtet, beim Buch oder beim periodisch erscheinenden Blatt? Hier ließen sich vielleicht irgendwelche brauchbare Verhältniszahlen gewinnen, während uns der bloße Gedanke, die von Mund zu Mund flutenden Gespräche nach Zahl und Maß zu werten, mit schauderndem Verzicht erfüllen muß.
Selbstverständlich handelt es sich in der Frage: Buch oder Zeitung? durchaus nicht um Abwägungen im Sinne der Geistigkeit und der Kulturbedeutung. Hier kommt vorläufig nur der mechanisch abzusteckende Umfang in Betracht, und da ergibt schon der erste Rechnungsanlauf das Übergewicht, und zwar ein erdrückendes Übergewicht zugunsten der Zeitung.
Führen wir eine Betrachtungsgröße ein: die Lese-Einheit , indem wir uns für unsern Zweck vorstellen, alles Gedruckte würde auch einmal gelesen. Die Lese-Einheit, entsprechend dem Druckinhalt eines durchschnittlichen Druckbogens, würde also die Wirkung darstellen, die diese Menge von Buchstaben, Worten, Sätzen auf einen Leser ausübt. Die Besonderheit dieser Wirkung braucht nicht erörtert zu werden. Sie möge ausfallen wie sie wolle, so wird sie bestimmt auch sprachliche Bestandteile enthalten, wird von der Sprechweise des Schreibers abhängen und sich in gewisser Weise an den Sprachsinn des Lesenden wenden. Sonach zerfällt alles, was gedruckt und gelesen wird, – sagen wir: in Deutschland während eines Jahres – nach seiner Bestimmung und Wirkung in eine endliche, aber zweifellos ungeheure Anzahl von Lese-Einheiten.
Wie groß mag diese wohl sein? – Versuchen wir es, mit allen
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