Das Geheimnis der Sprache (German Edition)
zu Schreibe« – aber doch im wesentlichen mit den nämlichen Mitteln des Ausdrucks; wie dies auch bei der dauernden innigen Berührung von Blatt und Mensch gar nicht anders möglich ist. Dasselbe Leben pulst in beiden Körpern, im gedruckten, der sich zunächst dem Auge mitteilt, und im atmenden, der von Mund zum Ohr seine Botschaft sendet. Gelingt es, den Wirkungsgrad einer Kraft auf den einen Körper zu beurteilen, so können wir ohne Sorge vor Fehlschluß einen ähnlichen Wirkungsgrad auf den anderen Körper annehmen. Damit hätten wir den springenden Punkt erreicht; denn eine Untersuchung über die Werbekraft will schließlich deren Einfluß auf das Sprachganze in Druck und in Rede erfassen.
Soll ich an diesem Punkte einlenken? Soll ich mich vor der Tatsache verbeugen, daß die Bewegung doch immerhin einiges geleistet, eine Anzahl entbehrlicher Fremdausdrücke mit Amtshilfe getilgt hat? Ich würde mich zu dieser Verbeugung gern entschließen, wenn ich mich nur davon überzeugen könnte, daß zur Erzielung solch bescheidenen Ergebnisses ein so umständlicher Apparat notwendig gewesen ist. Die Umformungen, die eine leichtflüssige Sprache erleidet, sind im Laufe der Jahrzehnte so gewaltig, daß ein paar Schock Fremdworte mehr oder minder darin keine Rolle spielen. Ein Mann wie Nietzsche läßt im Sprachreich tiefere Spuren als zehn Verbände mit vorgefaßtem Programm, und die summierten Umformungen, die sich im Strom der Tage wie von selbst entwickeln, verändern das Sprachgesicht weit gründlicher, als alle Massagen der Schönheitskünstler von Beruf. Man wird aber auch in der Annahme nicht fehlgehen, daß die Sprache selbst mit einem Trotzgeist ausgerüstet ist, der nur darauf lauert, seinen Abscheu vor Bevormundung zum Ausdruck zu bringen. Kraft dieses Trotzes nimmt sie in jeder Zeitspanne mehr Fremdworte in sich auf, als ihr von Verbänden und Behörden ausgeredet werden; es kann somit ein erkennbarer Saldo zugunsten unserer Sprachvögte gar nicht zutage treten. Sie selbst geben sich, wie schon erwähnt, hierüber gar keiner Täuschung hin, und wenn sie zetern, daß es keine Zeitung mit zwei bis drei Zeilen hintereinander in Reindeutsch gibt, so steckt dahinter noch etwas anderes: Nämlich das dumpfe Gefühl, daß ihr Geländeverlust im Sprachlichen am Ende gar größer sein könnte als ihr Geländegewinn. Wonach wir die werbende Kraft, die wir vorher als gleich Null bezeichneten, als noch unter Null anzusetzen hätten.
Fehlt es sonach der gesamten Bewegung an einem gesunden Kern? Das behaupte ich keineswegs. Allein ich meine, daß dieser Kern von Anfang an eine falsche Lagerung erhalten hat, in der es ihm unmöglich wird, eine Frucht zu treiben. Oder mit anderem Gleichnisbild: Ein Teil unserer Reformer, die sich im Zeichen des Allgemeinen deutschen Sprachvereins zusammenfinden, segelt auf brauchbarem Fahrzeug mit gutem Winde, aber mit falschem Kompaß, und kann somit das Ziel nicht erreichen, sofern es durch die Forderung bezeichnet wird: Alles Schlechtdeutsch durch Gutdeutsch zu verdrängen. Wer möchte sich nicht zu dieser Losung bekennen? Aber ein anderes ist es, ein Ideal aufstellen, ein anderes, den Weg dahin finden. Der Kompaß muß an ein Ufer führen, das stilistisches Neuland werden kann, nicht aber in Jagdgründe zur Worthatz. Es ist gut, daß aus der Mitte jenes Vereins Stimmen vernehmlich werden, die dieser Auffassung der Dinge nahekommen. Manches regt sich da im Unterbewußtsein, was dereinst, zur Oberfläche aufsteigend, dem Sprachverein edlen Ertrag bringen wird.
Aber solange das Deutsche nicht mit parnassischem Maß gemessen wird, sondern mit dem Bakel, solange zu ihrer Verschönung kein anderes Mittel wirken soll als Fleckseife, kann sich nichts Gedeihliches entwickeln. Vermag die werbende Kraft, wie bis heute, nicht über den Nullpunkt hinauszuklettern, so zeigt dies mit aller Deutlichkeit, daß die ganze Maschine trotz allen Getöses leerläuft, daß sich Gestänge drehen ohne Achsenlager und daß die Treibriemen ohne Nutzwirkung in der Luft schlottern. Denn die Werbefähigkeit und nichts außer ihr gibt das Maß für den Wert der Bestrebung, und an ihren Früchten sollt ihr sie erkennen!
Auf den Spuren Talleyrands
Es kommt nicht darauf an, wer zuerst den Satz geprägt hat: »Die Worte sind dem Menschen gegeben, um seine Gedanken zu verbergen.« Es wird gewöhnlich dem Talleyrand zugeschrieben, obschon auch andere mit gleichem Anspruch in Betracht kommen, Fouché, Voltaire, Young und
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