Das Geheimnis der Sprache (German Edition)
Wirbel, nicht einmal ein säuselndes Echo. Während unten völkisch draufgegangen wird, daß die Späne fliegen, nehmen die Männer, die dem Blatt das eigentliche Gepräge geben, nicht die leiseste Notiz von ihrem eigenen Programm. Und wohlgemerkt, diese Männer sind sehr tüchtige Leute, die gut zu schreiben verstehen.
Ich nehme mir irgend eine beliebige Nummer solcher alldeutschen Zeitung vor, und um der eignen Willkür gar keinen Spielraum zu lassen, die Nummer von heute , von dem Tage, da ich in diesem Buche bis zur Niederschrift der vorliegenden Zeilen gelangt bin. Es liegt mir daran, für dieses bestimmte Blatt eine Sonder-Statistik zu gewinnen, und der Leser möge mir glauben, daß ich von dem Ergebnis in diesem Augenblick noch gar nichts weiß.
Ich betrachte also den heutigen Leitartikel dieses bestimmten Blattes und ziehe aus ihm der Reihe nach folgende Fremdworte:
Demagoge, obligat, Kapital, moralisch, Kredit, Szene, demokratisch, Parlamentarismus, gratulieren, sozialdemokratisch, Interpellation, Skandal, Konservative, national, Organe, Rhetorik, taktisch, Heros, Kultur, Politik, ästhetisch, positiv, Opposition, Feuilleton, Stil, sophistisch, Dialektik, Agitatoren, pikant, akut, Situation, Effekt, kokettiert, Prophet, salvieren, kriminell, international, Propaganda, konsequent, radikal, revolutionär, pazifistisch, antimilitaristisch, Militärinstanzen, Appell, impressionistisch, ethisch, Nation, Plaidoyer, unlogisch, Resolution, Autorität, Partei, konzentriert, restitutio, Modell, elegisch, Zensur, Kritik). [Fußnote: Einige Monate später erlebte man in dem nämlichen deutschvölkischen Blatte das sprachliche Musterbeispiel einer »parlamentarisch-demokratischen Kamarilla«, welche der Staatsmann XX »kreiert und gemanaget« hat.]
Das finde ich in einem einzigen Artikel (im Herbst 1917), und ich zähle darin, schon mit Ausschluß der gänzlich unvermeidlichen, also gering gerechnet, 50 Stück von der verpönten Sorte. Und nun sage mir einer, wo da eigentlich die werbende Kraft des Losungswortes stecken soll, das sie auf fliegenden Fahnen vor sich hertragen! Der Sprachgeist so eines Blattes übt sich in zwei Betätigungen: »vorne nickt er, und hinten pickt er.« Das Nicken bedeutet für mich die Bejahung einer kultivierten, mit den Hilfsmitteln der Neuzeit ausgerüsteten Sprache; der Hackeschnabel aber kann bei solcher Bewandtnis unmöglich eine werbende, sondern höchstens eine grotesk belustigende Wirkung äußern.
Tatsächlich machen sich auch die Vorkämpfer der Bewegung bezüglich dieser Tragikomödie auf völkischer Zeitungsbühne keinen blauen Dunst vor, und sie sind ehrlich genug, ihren Mißerfolg teils mit polternder Entrüstung, teils mit elegischem Schluchzen einzugestehn. Einer ihrer Hauptmatadore geht darin noch weiter. Dieser ebenso gelehrte wie gewissenstüchtige, vor allem mit immenser Belesenheit ausgerüstete Herr schreibt: »Jeder Leser weiß so gut wie ich, daß es schwerlich eine einzige deutsche Zeitung mit 2 bis 3 Sätzen hintereinander in reindeutscher Sprache gibt. Die einzige Ausnahme, auf die ich aber nicht schwören will, ist an manchen Tagen die Kölnische Zeitung«; und an anderer Stelle bezeichnet er abermals die Kölnische Zeitung als »nahezu die einzige in Deutschland, die sich mit festem Willen und nicht erlahmender Ausdauer um reines Deutsch bemüht«.
Machen wir wiederum die Probe aufs Exempel und genau wie vorher mit Ausschaltung jeder Willkür. Ich greife also nach irgend einer, nach der mir zunächst erreichbaren Nummer der Kölnischen Zeitung und finde darin in dichter Aufeinanderfolge:
Trabant, genial, offensiv, Ruinen, Material, Kommission, provinzial, Organisation, kulturell, Maschine, Baracke, Transport, kolonial, Autowerte, Palais, reaktionär, Idee, Trikolore, Textil, Police, Interesse (mehrfach), Pointe, Restaurateur, amoureuse, Inszenierung, Tonnage, Novelle (im Sinne von Ergänzungsgesetz), Originalkadenz, Orchester, Ouvertüre, sympathisches Organ, intim, dramatisch, humoristisch, Romantik, Phantom, Milieu, Reformator, Phrase, Konzentration, Torso, politischer Koloß, Armee ...
Das wären schon mehr als vierzig Unreinheiten in einer einzigen Nummer des »nahezu einzigen Blattes, das sich um reines Deutsch bemüht«. Wo wächst die Frucht dieser Bemühung? halt, – ich entdecke sie: das Wort »Publikum« wird auf diesen Spalten eifervoll vermieden und durch »Schaumenge« ersetzt. Das ist immerhin etwas und verlohnt die Ausbeute. Dagegen heißt es
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