Das Geheimnis der Sprache (German Edition)
Grenzstrich gerade so gezogen wird von Empfindern, denen die Endsilbe »–ur« eine Gänsehaut über den Leib jagt. Ich brauche nur den Grenzstrich anders zu legen, und siehe da, Tinktur wird ein brauchbares Deutschwort.
»Prediger« ist nichts anderes als praedicator . Auf dem einen Entwickelungsaste hat sich praedicare zu predigen umgeformt, auf dem andern zu Prädikat . Ich habe Lust, die beiden Äste für gleichwertig zu halten, also ist »Prädikat« für mich eingedeutscht. Der Bonze will mir befehlen, dafür »Titel« zu sagen. Das kann ich tun, wenn ich will, und wenn ich nicht will, so erkläre ich ihm zum Trotz »Titel« = titulus für ein lateinisches Fremdwort.
Der »Meister« gibt sich deutlich (siehe Seite 94) als »magister« zu erkennen. Aber der Meister wird mir erlaubt, der »Magister« verboten, während ich wiederum beim »Minister« freie Hand behalte. Wie nun, wenn mir der Magister höher stünde als der Minister, da ich bei dem einen das »magis«, das Plus, beim andern aber das »minus« hindurch höre? Aber auf solche Spitzfindigkeiten brauche ich mich gar nicht einzulassen; wenn mir im Zusammenhang »Magister« als geboten erscheint, so wird es für mich genau so Bestandteil deutscher Rede, wie Meister, und magistral genau so erlaubt, so wenig fremdwörtlerisch, wie meisterhaft . Stelle ich mich, wie natürlich, auf diese Empfindung ein, so erklingt mir auch unser Magistrat durchaus germanisch, oder mit dem Ausdruck der Anderen: als völkisch.
Frux, fructus ist Frucht geworden in der substantivischen Linie, in der adjektivischen: frugal . Jenes wird mir erlaubt, dieses verboten; ein Rechtsgrund liegt nicht vor, nur ein willkürlicher Scheidestrich, den ich nicht anerkenne, und zwar umsoweniger, als mir in jeder Übersetzung von frugal der Anklang an die Frucht unterschlagen wird. Der Verbieter verzichtet auf diesen Anklang, ich halte ihn für notwendig, und wenn ich eine Kost, eine Mahlzeit als frugal bezeichne, so drücke ich mich genau so deutsch aus, wie der Übersetzer und noch dazu um einen Grad deutlicher.
Die Endsilbe »– – – ung« wird in der Regel zum Hauptausweis und Freischein; ordo = ganz lateinisch; Ordnung = ganz deutsch; rex und regere = ganz lateinisch; Regierung = ganz deutsch. Hier stockt er schon, wer hilft ihm weiter fort? Er macht einen leisen Vorbehalt, er beginnt schon wieder Grenzstriche zu ziehen. Nämlich so: Das Wort Regierung gibt er mir allenfalls frei, das Zeitwort »regieren« aber schachtelt er in die Fremdkiste. Und das muß ich mitmachen, aller Sprachlogik zuwider, bloß weil eine Gilde es also beschlossen hat? Hand aufs Herz, lieber Gildenmensch, dir gilt auch die »Regierung« nicht als ganz sprachreinlich, trotz der Endsilbe »ung«; und du läßt sie nur stehen, weil du nicht weißt, wie du dir aus der Schwierigkeit heraushelfen sollst. Ich helfe mir anders; ich sage: Von rex und regere , die bis in »Reich« und »Recht« hineinstrahlen (siehe Seite 95), sind meinem Sprachgefühl auch die anderen Ableitungen zu deutschem Gruß willkommen, also Regierung, und regieren und – nehmen Sie's nur nicht übel, Herr Gildenmensch – sogar das Wort »Regiment« in der Staats- und Heeressprache.
Populus , verkürzt poplus , und publicus haben sich zu Pöbel, populär und Publikum fortgesetzt. Der Bestimmer starrt auf die Endsilben, erklärt »–är« und »–um« als Bannware, während er »–el« gnädig durchgehen läßt. Also »Pöbel« wird von seinem Prisengericht freigegeben, »populär« und »Publikum« beschlagnahmt. Da bleibt nichts übrig als die Berufung an das Gericht des Menschenverstandes, der ja in diesem Falle auch der Verstand Lessings und Goethes gewesen ist; denn beide brauchen zu unzähligen Malen »Publikum« ohne Schmuggelabsicht wie ein selbstverständliches Deutschwort. Aber populär kann man doch übersetzen in »volkstümlich«, »volksverständlich«; gewiß, so wie man jedes grunddeutsche Wort auch noch übersetzen, d. h. durch eines von ähnlicher Bedeutung ersetzen kann (z. B. Pferd durch Gaul, wobei man im Augenblick übersieht, daß Pferd von paraveredus und Gaul von caballus herkommt; wie man ferner auch übersieht, daß in »volksverständlich« möglicherweise schon wieder eine fremde Wurzel steckt, nämlich volk von volgus, vulgus) . Aber vielleicht hat ein künftiger Heißsporn das Glück, die Form »populehr« für allgemeine Aufnahme durchzudrücken; wobei das lehrhafte zur Geltung käme und der
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