Das Geheimnis der Sprache (German Edition)
einen linken Fuß zu geben. Auf einem Bein kann die Wahrheit zwar stehen: mit zweien aber wird sie gehen und herumkommen.« Sogar in diesem Satze hat er das, was zu sagen war, nicht nur zweimal, sondern dreimal gesagt; weit entfernt davon, irgend etwas weise zu verschweigen. »Du mußt es dreimal sagen«, spricht Mephistopheles, einer der besten Stilisten in deutscher Sprache.
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Steht die wissenschaftliche Tat höher oder die künstlerische, insonderheit die dichterische? Die Frage ist einer Beantwortung zugänglich, wenn man sich über den Begriff »höher« verständigt und die Höhe nach dem Maß der Unersetzlichkeit erfaßt. Die Wissenschaftstat, selbst die gewaltigste, ist immer ersetzlich, wie schon daraus ersichtlich, daß sie häufig in Duplizität auftritt. Newton fand das Gravitationsgesetz, weil es reif zum Finden war; er und Leibniz erfanden die Infinitesimalrechnung, und wir können zwar darüber streiten, wem die Priorität gebühre, nicht aber darüber, daß die Erfindung fällig war und auch ohne jene beiden längstens nach fünfzig Jahren ans Licht getreten wäre. Aber wenn Beethoven nicht seine Fünfte Symphonie geschrieben hätte, so wäre sie bis heute nicht vorhanden. Sie war so, wie sie uns als Offenbarung erscheint, nicht fällig. Ganz ebenso können die großen Taten des Schrifttums gewertet werden, nach dem Grade ihrer Unersetzlichkeit; und in diesem Sinne stehen sie höher als ihre wissenschaftlichen Mitbewerber. Am höchsten aber stehen die Werke, welche die Kennzeichen aus beiden Gebieten in sich vereinigen, die Einzigkeit der Worte mit dem Gehalt an Erkenntnis. Das sind die Kohinoors unter den Diamanten, ausgezeichnet durch Seltenheit, Glanz und Unvergleichbarkeit. Zu ihren Vertretern gehören Plato, Lukrez, Shakespeare, Albrecht Haller, Lessing, Goethe, Wieland, Rückert, Gobineau, Fechner, Fr. Vischer. Nicht zu ihnen gehören die Gefühlsdusler, denen bisweilen ein Vers gelingt in einer gebildeten Sprache, die für sie dichtet und denkt; und die alles von der Sprache erwarten, ohne ihr das geringste zu geben.
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Dem Gesetz von der Erhaltung der Kraft entspricht ein Gesetz von der Beständigkeit der Interessen und von der Konstanz der Begabungen. Ein wirklicher Beweis hierfür wird niemals geliefert werden, nur die Analogie und eine aus Erfahrung fließende Wahrnehmung drängt dazu, es anzuerkennen. Die Summe der Begabung bleibt in der Welt, wahrscheinlich schon innerhalb eines großen Volkes, unveränderlich, ebenso die Summe der Interessen, welche die Begabungen zu ihren Leistungen drängen. Setzt man dies als ein Axiom voraus, so muß man schließen, daß die Höhepunkte der Wissenschaft nicht mit denen der Kunst zusammenfallen können, und ebenso, daß innerhalb eines Schrifttums nicht alle Zweige zugleich zur Blüte gelangen. Dieselbe Begabung, die zu anderer Zeit und im Zuge anderer Interessen ein reines Dichtwerk, eine Messiade, einen Kranz von Oden vollbracht hätte, wird mit Notwendigkeit anders gerichtet ein Werk wie Zarathustra, Zendavesta, Kritik der Sprache, Von kommenden Dingen ans Licht stellen. Erkennt man die reine Geistigkeit als das Bestimmende einer gewissen Zeit, so wird sich jene Konstanz dadurch herstellen, daß die reine Poesie die Kosten zahlt, um den Mehraufwand auf der andern Seite zu bestreiten. Der Sprache selbst ist dies ganz gleichgültig; ihr kommt es nur darauf an, daß diese Wirtschaftsrechnung in Plus und Minus stimmt.
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Die Glaubwürdigkeit des Finders ist im allgemeinen größer als die des Nichtfinders. Wenn ein ehrlicher Mensch erklärt: ich habe in diesem Gelände Spuren von Erz gefunden, ein anderer ebenso ehrlicher: ich habe keine gefunden, so nehmen wir den Erzbestand als höchstwahrscheinlich an. Denn man kann übersehen, was vorhanden, aber nicht finden, was gar nicht existiert. Hieraus könnte man mit Rückschluß auf das Schrifttum folgern, daß man mehr auf den Lober hören soll als auf den Tadler. Denn der Lober muß in dem Drama, dem Roman, oder was es sei, Vorzüge entdeckt haben, die dem Tadler entgingen. Im großen und ganzen wird es wohl auch so sein, und man wird die verzehnfachte Prüfung aufzuwenden haben, ehe man sich entschließt, dem Tadler beizutreten. Aber eine durchgreifende Regel läßt sich hieraus nicht ableiten, und ein Rest von Glaubwürdigkeit bleibt beim Ablehner, insofern auch er ein Finder ist gegenüber dem lobenden Nichtfinder; denn der Mangel im Drama, im Roman, ihre Verkehrheit, Plattheit,
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