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Das Geheimnis der Sprache (German Edition)

Das Geheimnis der Sprache (German Edition)

Titel: Das Geheimnis der Sprache (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Moszkowski
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verweigern. Sie sind also gnädig genug, dem Dichter in Ansehung des Reimzwanges sogar das Fremdwort zu gestatten. Dunkel schwebt es ihnen vor, daß andernfalls ein großer Teil unserer dichterischen Schätze und die Gesamtheit der humoristischen Verskunst gar nicht existieren würde. Daß aber Prosa und Poesie denselben Grundgesetzen unterliegen, dieselben Zwänge aushalten, von denselben Freiheiten leben, das vermögen sie nicht zu begreifen, genauer gesagt, es kann ihnen gar nicht einfallen, diese Einheit wahrnehmen zu wollen, weil man sie eben erlebt haben muß, in Blut und Nerven, während sie nichts anderes erleben als pedantisch abgezogene Regeln und Vorschriften.
    Goethes Iphigenie war ursprünglich in Prosa verfaßt, »in einer mit Versen förmlich gesättigten Prosa. Er wollte in Prosa schreiben, aber unwillkürlich nahmen seine Gedanken die poetische Form an. Aus der Vergleichung ersieht man nicht nur, wie häufig in jener schon die Verse sind, sondern auch, wie wenig Änderungen nötig waren, um das prosaische Drama in ein Gedicht umzuschaffen« (Lewes). »Fürwahr, man schreibt nur im Angesicht der Poesie gute Prosa!« ruft Nietzsche; und wenn Schiller erklärt, der Poet stehe unter anderer, also höherer Gerichtsbarkeit, so liegt dem der Sinn zugrunde, daß in der Prosa nichts verfemt sein dürfe, was sogar die strengere Gerichtsbarkeit als zulässig und notwendig anerkenne. Nach landläufigem Ausdruck ist der Vers die gebundene, die Prosa die freie Rede. Und der freien Rede wollt ihr Fesseln aufschmieden, die der gebundenen nach eurem eigenen Zugeständnis unerträglich wären? Kann man die Fehlerhaftigkeit eines fehlerhaften Zirkels noch weiter treiben?
    *
     
    Ein berühmter Satz von Rivarol besitzt noch heute richtende Geltung für das Urteil und den Geschmack in Frankreich: »Ce qui n'est pas clair, n'est pas français.« Der Satz hat den Neid deutscher Sprachmeister erregt, und diese verlangen nun auch in unserem Bereich Klarheit, Eindeutigkeit um jeden Preis, das heißt möglichste Auslöschung der nicht scharf abgegrenzten Übergänge, der Schattierungen, der Nuancen. Aber die unbedingte Forderung nach Klarheit ist stets falsch gewesen und wird ewig falsch bleiben. Kein sprachliches Kunstwerk könnte vor ihr bestehen. Wirkliche Eindeutigkeit ist die Tugend eines Gesetzbuches, einer Logarithmentafel, eines Lehrbuches der Geometrie, einer amtlichen Bekanntmachung. Aber schon Descartes, der als Begründer seiner Analysis eindeutig war, wird vieldeutig, wo er philosophiert, und nicht nur seine, sondern überhaupt alle Philosophie und dazu die Hälfte der besten Dichtungsliteratur müßte man einstampfen, wenn die Klarheitsforderung souveräne Gewalt erlangen könnte. Weil nämlich alles, was den Menschen als Gedankenaufgabe vorschwebt, im Grunde nichts anderes ist als ein System verwickelter Gleichungen. Die Fragestellung in diesen Gleichungen ist eindeutig, nur diese Bestimmtheit fühlen die Klarheitsapostel hindurch, und nun verlangen sie auch eindeutige Lösungen, weil sie nicht wissen und begreifen, daß genau entgegengesetzte Lösungen zur Befriedigung ein und derselben Gleichung dienen können, daß auch das Imaginäre, d. h. das in bestimmten Worten gar nicht mehr faßbare herangezogen werden muß, um die Gleichung zu erfüllen. Wir besitzen Ansätze zu einer Algebra der Logik, und es wird einmal eine Wissenschaft entstehen, die Algebra der Sprache, die tausend Sprachgeheimnisse von einst und heute entschleiern wird. Wie diese Wissenschaft aussehen wird, das wissen wir nicht, von ihrem Inhalt können wir nur weniges erahnen, aber das eine wird sie gewiß unter Beweis stellen: daß die Fülle, Schönheit und Macht einer Sprache nicht von ihrer Klarheit, sondern von ihrer Vieldeutigkeit abhängt. Und dann wird man sich der Nüancentöter erinnern, als der brüllenden Löwen, die da einst umhergingen, suchend, wen sie verschlängen.
    *
     
    In den ersten Kriegsmonaten, als man mit Haßgesängen Ehrenplätze auf dem Parnaß erwarb, wurde eine Umfrage ausgeschickt: darf man auf einer deutschen Bühne Shakespeare spielen? Die nahezu einstimmige Antwort lautete: man darf, und man soll. Aber die bloße Tatsache der Umfrage zeigt doch, daß manche Leute mit dem schönen und für eine große Orgel bestimmten Grundthema »Deutsch« erst dann etwas anzufangen wissen, wenn sie es auf die Radauflöte übertragen haben. Sie hätten ebensogut zur Erörterung stellen können, ob man in Deutschland noch

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