Das Geheimnis der Sprache (German Edition)
Unzulänglichkeit, sind auch Positivitäten, die dem einen entgehen können, während der andere sie entdeckt. Ja, es gibt im Geistigen, wie Börne bemerkte, ein angebornes Genie der Dummheit, und es ist nicht jedermanns Sache, mit seinem Urteil die Höhe solchen Genies vollkommen zu erfassen.
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Wer in Sprachfragen politische Kampfmotive mitspielen läßt, bringt Begriffe durcheinander, die in aller Welt nichts miteinander zu tun haben. Er verdächtigt den sittlichen Charakter, wo nur der Ausdruck in seiner Beziehung von Form zu Inhalt in Frage steht. Vor Jahrzehnten war man ein »Reichsfeind«, wenn man sich gegen irgendwelche Paragraphen einer Regierungsvorlage, etwa in Sachen des Versammlungs- oder Vereinsrechtes auflehnte. Heute erscheint uns das unfaßbar, und doch ist die Methode noch im Schwange, und man gerät in die politische Acht, als ein »Undeutscher«, wenn man sich für gute und tüchtige Ausdrücke nicht elende, leistungsunfähige aufschwatzen lassen will. Mit dieser sinnlosen und verwerflichen Methode kann man das konfuseste Zeug beweisen. Zum Beispiel: in Fichtes Reden an die deutsche Nation findet man die welschen Ausdrücke »absolut, Element, apriorisch, Barbar, genialisch, Reformation, Republik, Reflexion, Rivalität, Chaos, Subjekt, objektiv, Sphäre, Instinkt, Idee, Epoche, mechanisieren, empirisch, Nationalcharakter, Majestät, Rebellion« usw., folglich war Fichte zum mindesten als er diese Worte sprach und schrieb, ein Deutschfeind. Oder: von zwei Bildhauern arbeitet der eine in welschkararischem Marmor, der andere in grunddeutschem Sandstein vom Elbufer, folglich ist dieser der sittlich hochstehende Deutsche, jener der fremdländernde Reichsgegner. Eine unausdenkbare Perspektive, in deren Vordergrund aber ganz gegenständlich gekämpft, beschimpft und verdächtigt wird. Aber einst wird kommen der Tag – wahrscheinlich ist er gar nicht so fern –, wo der deutsche Sprachgeist nach ganz anderer Methode sichten und urteilen wird; tretet zur Linken Reinemacher und Reinegemachte, die andern zur Rechten, und laßt sehen, auf welcher Seite die wirklichen Schriftsteller stehen, die Sprachgewaltigen, die Mehrer des Schrifttums. Das wird eine hübsche Statistik werden, und man wird sein blaues Wunder erleben!
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Wer die innige Beziehung von Sprache und Musik begriffen hat, der wird auch in Ansehung des Purismus dem nachfolgenden Beispiel volles Verständnis entgegenbringen. Es ist der Berliner Musikgeschichte entnommen und zeigt uns, wohin es führt, wenn die »absolute Reinheit« zum obersten Prinzip erhoben wird. Nämlich ganz einfach zur Vernichtung der Kunst . Im Jahre 1852 gelangte Eduard Grell an die Spitze der Berliner Singakademie, ein sehr bedeutender Theoretiker und Kontrapunktist, Schöpfer der noch heut bewunderten 16stimmigen Messe. Alle seine Kunstbestrebungen gipfelten im Reinheitsfanatismus. Nach dem vollgültigen Zeugnis von Carl Krebs bedeutete ihm die Reinheit des Zusammenklangs alles, und in der Verfolgung dieses Geschmacksweges mußte er am Ende dahin kommen, jedes Musizieren, das die akustisch reinen Tonverhältnisse nicht darstellen kann, abzulehnen, also die temperierte Stimmung und mit ihr die ganze Instrumentalkunst . In einem Gutachten über die Kompositionsklasse der Akademie erklärte Grell die gesamte Instrumentalmusik als den » vernichtenden Feind aller musikalischen Kultur , der aus jeglicher Schule des Landes gänzlich entfernt werden müsse!« Und ein offner Brief an unsere Singakademie, die er ihr als sein künstlerisches Vermächtnis hinterließ, beginnt mit den Worten: »Dir, liebe Singakademie, drängt es mich, an das Herz zu legen, Dich anzuflehen, niemals durch Bau oder Benutzung einer Orgel Deinen bisherigen Gesang zu entweihen!«
Von seinem Standpunkt aus hatte Grell vollkommen recht, denn wer nichts anderes kennt als Reinheit und diesen Standpunkt bis in die äußerste Folgerung vertritt, muß zu solcher Barbarei gelangen. Nur daß im Falle der Musik dieses Ergebnis von jedermann als Barbarei erkannt wird, während im Falle der Sprache die verwüstenden Folgen noch nicht durchschaut werden. Weil eben das Zeitmaß der Sprachentwickelung als ein ungeheuer verzögertes auftritt, gegenüber den Siebenmeilen-Sprüngen in der Entwicklung der Tonkunst. In wenigen Jahrzehnten sind Grells Ansichten grinsende Lächerlichkeiten geworden. In Jahrhunderten, zu Zeiten der deutschen Universalsprache, werden die sprachpuristischen Rufe der Vorzeit dem
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