Das Geheimnis der Sprache (German Edition)
nämlichen Lose verfallen. Der Vergleichspunkt liegt ausschließlich in der Übertreibung eines einzigen Begriffs, den die Heerrufer als einen lebenswichtigen ausposaunen, während er tatsächlich nur eine äußerlich-mechanische Geltung hat. Letzten Endes bleibt die Reinheit der Kunstwirkung gänzlich unabhängig von der Beschaffenheit der Elementar-Ursachen, wie ja auch die Reinheit eines Landschaftseindrucks unbeeinflußt bleibt von der chemischen Natur der Stoffe in der Landschaft. Wer die Reinheit bis in die Grundstoffe, bis in die Urklänge und Urworte hinein verfolgt, betreibt eine Apotheker-Analyse, die mit künstlerischer Analyse nichts zu tun hat; er verwechselt Begriffe und vertauscht Elemente, die in getrennten Welten liegen.
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Ist eine Universalsprache überhaupt möglich? Ist der Gedanke an sich nicht viel zu allgemein, zu utopisch, um jemals verwirklicht zu werden? Gewiß, wer die Hoffnung ausspricht, gerät leicht in die Gefahr, als Träger einer Schrulle belächelt oder gar als unvölkisch verschrien zu werden. Und es werden sich aus zottigen Hochbrüsten Stimmen gegen ihn kehren mit der Behauptung: nie zuvor hätte ein treudeutscher Schriftsteller von Rang sich zu solcher phantastischen Unmöglichkeit verstiegen.
Wirklich, nie zuvor? Ach, wie wäre es, wenn die kernigen Vielwisser einmal anfingen, die Akten zu revidieren; sie könnten dabei auf eine Abhandlung stoßen, die auf das Jahr 1846 zurückgeht und keinen geringeren als Friedrich Hebbel zum Urheber hat. Dort heißt es in der Betrachtung bestimmter Formen im Denken und Dichten:
».... Hier ist der Punkt, auf dem der Gedanke an eine Universalsprache , – gegen die sich die verschiedenen Nationalsprachen wie ebensoviele ihr vorhergegangene Exerzitien verhielten, deren Zweck auf relative Ermittelungen und Vorbereitungen hinausliefe, wenigstens nicht unvernünftig und willkürlich erscheint, .... Aber die Kenntnis der Rahmen erweitert nicht die Spiegel, und die Hoffnung, sie alle dereinst näher und näher zu rücken, dann zerbrechen und auf dem Gipfel der Zivilisation in einem einzigen verschmelzen zu sehen, ermangelt keineswegs des Fundaments .... Auch soll, um zu diesem Ziel zu gelangen, nicht aus dem Stegreife ein Sprung unternommen, es soll nur einfach fortgeschritten werden, da man, wenn kein Stillstand eintritt, auf demselben Weg und ungefähr auch mit denselben Opfern ... von der National -Sprache zur Universal -Sprache kommen muß, auf dem .. man von der Individual-Sprache, um die ersten stammelnden Verständigungs- und Mitteilungs-Versuche so zu nennen, zur Familien-, Provinzial- und National-Sprache kam.«
Der Neuschöpfer der Nibelungen ist wohl über den Verdacht erhaben, mit dem Bestand unserer Sprache mutwillig gespielt zu haben. Allein seine Ausführungen lassen keinen Zweifel darüber, daß er als einer der Vielzuwenigen genau wußte, wohin die Reise gehen wird. Warum redet er von den vorhandenen Teilsprachen als von »Exerzitien«, warum sagt er nicht Übungen, Vorübungen? – Weil im Exerzitium der Begriff Exercitus mitklingt, das auf Feindeswirkung eingestellte Heer, das Gegensätzliche in den Teilsprachen. Warum wird bei ihm die Universal- nicht zur Allgemein- oder zur Weltsprache? Weil in »Universal« das unus steckt und das vertere , der Vorgang, kraft dessen sich das Mehrspaltige zur Einheit wenden soll, und weil keine Übersetzung imstande ist, diesen Vorgang in sich aufzunehmen. Hebbels Ansage ist in dem dickflüssigen Stil geschrieben, in den er so häufig, von der eigenen Gedankenflut gedrängt, sich verfangen mußte. Allein seine sprachlichen Mittel sind Werkzeuge der Fernsicht, und sie selbst verraten in losen Andeutungen bereits Fernspuren der Universalsprache.
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Den nur sehe ich als Dichter an – der auch gute Prosa schreiben kann – und nur der gilt mir als Prosaist, der gewandt in jeder Versform ist: so umschreibe ich eine Forderung, die von unseren Besten, mit besonderem Nachdruck von Lessing, Heine, Gottfried Keller, Storm, vertreten wurde. Letzten Endes fließen Prosa und Dichtung in einander über. Aber nur im eigenen Schaffen kann man der Wurzeleinheit beider Formen sich bewußt werden, in eigenem Erlebnis des Denkens, Schreibens und künstlerischen Formens. Wie sollen die aufs Sprachmechanische gerichteten Schulmeister davon wissen? Sie trennen ab, rubrizieren, schachteln und gelangen so allenfalls dahin, dem Versemacher allerhand Freiheiten zu gewähren, die sie dem Prosaschreiber
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