Das Geheimnis der Sprache (German Edition)
noch einfache Fragen gegenüber den verwickelten, die uns jede Übertragung aufgibt, sobald der Logos mit der Akustik zu verhandeln anfängt. In seinem bedeutenden Werk »Philosophie des Unvollendbar« sagt Lasker: »Jede Sprache hat eine gewisse Kapazität und vermag ein gewisses Gebiet des Ausdrucks zu beherrschen. Lateinisch und Deutsch, wenn von ihren zufälligen Unvollkommenheiten abgesehen wird, sind äquivalent , sie haben die nämliche Kapazität, denn man vermag aus dem Lateinischen ins Deutsche zu übersetzen, wie auch umgekehrt. Bei der Übersetzung hat man nur zu beachten, daß jedes Wort in dem Sinne genommen wird, der ihm innerhalb seiner Sprache zukommt, und natürlich, daß dieser Sinn eindeutig sei: alsdann sind die Sprachen, richtig verstanden, äquivalent.«
»Richtig verstanden « das ist möglich. Aber eine »richtig gehörte « Äquivalenz besteht nicht und kann durch kein Kunstmittel hergestellt werden. Nur der Sinn läßt sich transformatorisch abbilden, nicht der Ton. Mit den Verschiebungen, die sich beim Abbilden des Sinnes ergeben, mag sich der Verstand abfinden, und er wird im Einzelfall mit ihm fertig werden wie bei anderen projektivischen Veränderungen; er sucht die Eindeutigkeit in der Beziehung und zeigt sich, wo es irgend angeht, willig in der Deutung. Aber der Klang, die Klangfarbe, und die von ihm unzertrennliche Gefühlsbetonung wird grundsätzlich verändert, nicht nur transformatorisch. Es entsteht etwas anderes, akustisch verschiedenes; und die Wertabmessung zwischen dem Urbild und dem klanglichen Neubild bildet den Inhalt des Problems, das wir hier zur Erörterung gestellt haben.
Eine Reise durch Verdeutschland
Eins muß man den Unerbittlichen lassen: sie geraten niemals in Verlegenheit und strecken niemals die Waffen. Der Fall mag noch so schwierig liegen, – der Unerbittliche findet einen Ausweg in sein eigenstes Sprachland, in das von ihm mit so großer Virtuosität verhunzte Deutsch, das in seinem Verdeutschland gesprochen wird. Da gerät er z. B. an die Chemie und sieht sich zunächst von einem Dickicht fremdsprachlicher Ausdrücke umfangen. Ganz leicht wird's ihm ja nicht werden, sich aus dem Gestrüpp herauszuwinden. Aber mit alterprobter Tapferkeit durchhaut er die Hindernisse, und mit einer Geschwindigkeit, die jede Hexerei übertrifft, springt er aus der Umstrickung in sein vertrautes Gelände.
Er hat es geschafft, hat eine neue Sprachprovinz erobert und gibt durch amtlichen Anschlag – jeder Fex fühlt sich als Behörde – der Welt folgendes bekannt:
Es heißt nicht mehr »Chemie« sondern »Scheide- und Fügekunst«. Der Chemiker, im allgemeinen »Scheide- und Fügekünstler«, hat sich zu entscheiden, ob er als Organiker: »Kohlenstoffverbindungsscheideundfügekünstler« oder als Anorganiker wirken will, also als »Nichtkohlenstoffverbindungsscheideundfügekünstler«. Der Synthetiker schreitet fortan als »Grundstoffklebekünstler« durch die Wissenschaft, der Analytiker als »Scheidler«, der Laborant als »Scheidlergehülfe« oder »Scheidler zweiter Güte«. Das sind aber erst die vorbereitenden Anfänge, hoffnungerregende Proben, die eine in Mitteldeutschland erscheinende Chemiker-Zeitung vorschlagsweise der aufhorchenden Mitwelt schon vor Jahren unterbreitet hat. Die Liste geht natürlich weiter und öffnet uns eine wahre Schatzkammer sprachlicher Erfreulichkeiten:
Fremdsprachlich:
Neudeutsch aus Verdeutschland:
Oxydieren
versauerstoffen
reduzieren
entsauerstoffen
nitrieren
verstickstoffen
Katalysator
Scheidungskitzler
Spektroskop
Brechlichtlinienrohr
Hygroskopie
Wassersucht
Elektrochemie
Funkenscheideundfügekunst
Emulsion
Hängeschleim
Explosion
Plötz-Zersetzung
Guano-Industrie
Vogelabfallwerktätigkeit
Ultramarin
Übermeerblau
Qualitative Analyse
Was-drin-Scheidung
Quantitative Analyse
Wieviel-drin-Scheidung
Isolieren
bloßstellen
Eisenoxyd
Dreifachversauerstofftes Doppeleisen
Kaliumferricyanid
Zwölffachverblaugastes Sechskaliumdoppeleisen.
Der Leitspruch »Alles läßt sich übersetzen« feiert hier schöne Triumphe. Die Wissenschaftssprache kapituliert und überliefert den Stürmern ihre lebenden und toten Bestände. Kein Zweifel, daß auch Worte wie »Paraphenylendiamin«, ... »Phenylglycinorthocarbonsäure« und noch viel komplizierte Ausgeburten der chemischen Werkstätten sich nicht länger in ihrer bitterbösen Fremdsprachlichkeit behaupten können werden. Die Unerbittlichen werden sie schon zwangsweise in
Weitere Kostenlose Bücher