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Das Geheimnis der Sprache (German Edition)

Das Geheimnis der Sprache (German Edition)

Titel: Das Geheimnis der Sprache (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Moszkowski
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Verdeutschland anzusiedeln wissen.
    Dabei muß es auffallen, daß ihnen das Kleine und Allerkleinste doch größere Schwierigkeiten verursacht als das Große und Allergrößte. Kein Fex zögert eine Sekunde, wenn er »Universum«, »Kosmos«, »Totalität« gereinigt wiedergeben soll, aber jedem merkt man die Verlegenheit an, sobald er an das »Atom« gerät. Soll er »Ur-Teilchen« sagen? geschrieben ginge es ja, allein gesprochen hört es sich an wie ein kleiner Gerichtsbeschluß: Urteil-chen. Und dann lassen sich auch die Ableitungen »Atomist«, »atomistisch«, »Atomistik« aus dem Ur-Teilchen nur höchst mangelhaft oder garnicht entwickeln. Man hat vorgeschlagen » Kleinchen «, ja ein besonders findiger Apostel der Sprachreinigung setzte sich dafür ein, statt des unleidlichen »Atom« die schmucke Bezeichnung » Das Etwas « in Umlauf zu bringen; in der Mehrheit: » Die Etwase «. Beim Begriff des Moleküls hat man dann die Auswahl zwischen » Doppelkleinchen «, » Kleinchengruppe « und » Doppeletwas «.
    Der gewissenhafte Verdeutsch-Chemiker, der schon die Kleinchen so liebevoll sprachbetreut, wird selbstverständlich auch die Körperwelt der Elemente, also der »Größchen« unter seine Obhut nehmen. Der Stoff Jod kann allenfalls als genügend » eingedeutscht « gelten, obschon er noch deutlich seine Herkunft vom griechischen ioeides verrät und deshalb die Übersetzung »Veilchenfarb« ganz gut vertragen würde. Aber die Lumpazivagabunden Tellur , Helium , Selen tragen doch ihr Fremdattest zu auffällig vor sich her und müssen deshalb von den Sprachvögten zur Landessitte gezwungen werden. Also schnell ein gutes Lexikon her und nachgeschlagen; da haben wir's ja: tellus , – Helios , – Selene , und sogleich behängen wir die drei Fremdbürger mit den Täfelchen: Erdstoff – Sonnenstoff – Mondstoff. Daß dabei, wissenschaftlich betrachtet, ein Unsinn herauskommt, verschlägt uns nichts; denn der blanke Übersetzungsunsinn hat ja bei hundert anderen wissenschaftlichen Gelegenheiten auch nicht gestört. Also lassen wir es dabei und fügen wir noch für Radium und radioaktiv hinzu: Strahlstoff und strahlstofftätig (kürzer strahlstofflich), wobei nur zu beachten, daß die Radioaktivität noch einer ganzen Anzahl anderer Elemente zukommt, z. B. dem »Polonium«, das sich Polenstoff, Polenblende oder Polenglutstoff nennen mag, je nach der Polenvorlage mit Sprachparagraphen, die wir von den Tausendkünstlern zu erwarten haben.
    Man darf annehmen, daß die Unentwegten bei allem sonstigen Selbsttrotz nicht mit ganz blanken Gewissen an derlei herantreten. Denn sie spüren bei der Beschäftigung mit den Atomen, daß sie damit in die Nähe des Elektrons, ja der ganzen » Elektrizität « geraten, und diese ist keines Sprachreinigers Freundin. Zwar für »elektrisieren« haben sie: durchblitzen, durchzucken, begeistern, aufrütteln, aber die Elektrizität als Erscheinung an sich ist ihnen unangenehm. Man findet dafür: »Bernsteinkraft«, auch wohl »Bernsteinigkeit« (in allerletzter Zeit: »Elt«), was ja an sich wunderschön wäre, wenn man nur im wissenschaftlichen oder landläufigen Gebrauch das Geringste damit anfangen könnte. Ich brauche das nicht im Einzelnen zu begründen und möchte nur darauf hinweisen, daß man mit dem Ausdruck »bernsteinige Straßenbahn« bei allen Mitbürgern, die mit der Elektrischen fahren, in den Verdacht des Irrsinns gelangen würde.
    Was im griechischen Wort mit der Beziehung auf Elektron , Bernstein, als eine wertvolle und unverlierbare Erinnerung eingekapselt liegt, muß bei jedem Anklang an irgendwelche Neusprache wie ein Ulk wirken. Wer da einfach und unverdrossen den alten Keim auf den neuen Zweig hinüberpfropft, verfällt der Lächerlichkeit. Der Galvanismus, die Berührungselektrizität, gab sich zuerst als eine Erscheinung am zuckenden Froschschenkel zu erkennen, sowie diese Kraft im allgemeinen am geriebenen Bernstein. Es sollte mich daher nicht wundern, wenn der Bernsteinkraftler etwa dahin gelangte, das Wort »Galvanoplastik« mit »Froschschenkelzuckungsbildnerei« zu verdeutschen. Er hätte ja damit den historischen Zusammenhang, er, der nämliche, der in tausend anderen Fällen tausend wichtigere geschichtliche Zusammenhänge in Weltworten nicht erkennt oder verleugnet, wenn sie mit seinen Reinigungs- und Putzversuchen in Widerstreit geraten; wo er dann den historischen Edelrost unbedenklich abkratzt und mit seinem Sprachputzpulver darüber

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