Das Geheimnis der Sprache (German Edition)
Tiefstoßes; eine im Buchhandel zurücklaufende (als »Krebs« bezeichnete, remittierte) Druckschrift. Schließlich kommt dem Mann aus Verdeutschland diese Vielsinnigkeit dunkel zum Bewußtsein, und so schlägt er denn vor, ein funkelnagelneues Wort einzuführen: »Hinterfür« ! Ich nehme an, daß es sich so schreibt und nicht etwa »Hinterführ«, was etwa besagen würde, daß die Sprachfuhre auch nach hinten fahren kann; nein, nur die zwei Richtungen »fürwärts« und »nach hinten« sollen verschmolzen werden, und wer das Wort wirklich annehmen will, der könnte sich beruhigt schlafen legen, mit dem süßen Gefühl, dem scheußlichen Welschwort endgültig den Kragen umgedreht zu haben. Ach, ihr lieben Herrn! wenn ihr nur eine Ahnung hättet, mit wieviel »Hinterfürs« euer zusammengeklaubter Wortschatz belastet ist und wie der Sprachgenius schaudert, wenn er von solchen bösartigen Neubildungen Kenntnis erhält!
Berlinfranzösisch und Parisberlinisch
Eigentlich könnte dies ein erfreuliches Kapitel werden, und es wird ja auch allerhand Wohlgemutes darin zum Vorschein kommen; aus der Fülle der Frohlaune, welche der Dialekt so gern offenbart, sobald man ihm nur sein freies Wort gestattet. Wenn nur nicht über dem reizenden Blütenfeld die Wolke des Unmuts schwebte, aus der auch hier ein grämlicher Regen niederrieselt. Und die Wolkengötter mit ihren sauertöpfischen Ergüssen sind selbstverständlich wieder die nämlichen Häuptlinge der Sprachfürsorge, mit denen wir uns in diesem Buch so ausgiebig zu beschäftigen haben. Wo sich etwas regt, das nicht in die strenge Schulregel paßt, ob im Ernsten, ob im Heiteren, sind sie zur Stelle. Sie hocken in den Höhen, in den Niederungen, wie der böse Geist,
in einer Dornenhecken
von Neid und Gram verzehrt, ...
er lauert da und lauscht,
wie er das frohe Singen
zu Schaden könnte bringen ...
Aus Wagners Meistersingern wissen wir, daß Beckmesser schließlich den Kürzeren zieht und mit seiner ganzen ledernen Tabulatur grimmig hineinfällt. Und wer Zeit hat, den Schluß abzuwarten, wird es auch erleben, daß die Beckmesser unserer Tage mit ihren Regeln von Leder und Strohpapier übel abschneiden. Aber vorläufig sind wir da noch im ersten Akt, wo Ritter Walther mit seinem frohen Singen in arge Bedrängnis gerät.
Zugegeben sei: Beckmesser von heute hat sich ein sehr wirksames Schlag- und Kampfwort zurechtgedrechselt: das »Berlin-Französisch« ; und zugegeben sei ferner: sein Gegner gibt sich Blößen. Aber dieser Tatbestand, der keineswegs verschleiert, vielmehr ausführlich erörtert werden soll, hat eine sehr liebenswürdige Vorgeschichte; deren Held ist » Der richtige Berliner «, der mit Spree- und Pankewasser getaufte, in Ironie und Selbstverspottung schwelgende Sprecher, dem der deutsche Humor so viel zu verdanken hat.
Seine Schnoddrigkeit ist weltberühmt, und man hat sich sogar, um ihr den gebührenden Rang zu sichern, versucht gefühlt, ihr einen erlauchten Ahnen nachzuweisen: »Schnoddern« soll abstammen von Snotar, einer altnordischen Gottheit, der irgendwelche Beziehung zur Redekunst nachgesagt wird. Sicherer als diese Vermutung besteht der Umstand, daß das Hineinziehen französischer Brocken zur Berliner Schnoddrigkeit gehört und ihr besondere Reize verleiht:
»So'n bisken Französisch macht sich doch wunderschön, Très-ämabel, sagt schon Schnabel ...«
Dieses Bekenntnis der altberliner Posse aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts ist noch heut unvergessen und genau so gültig wie zu Zeiten von David Kaiisch, der die Brücke schlug zwischen jüdischem und berlinischem Humor. Und wenn Beckmesser unter Verwerfung des Zeugen Schnabel mit seinen Reinigungsrezepten anrückt, so wird seine Bußpredigt mit einem hohnlachenden
»nich in de la main!«
abgewehrt. Die dazu gehörige Handbewegung ist zwar sehr »lescher«, aber sie erfolgt doch »mit'n jewissen Aweck« ( avec ), sogar »mit avec dü fö« ( du feu ) und läßt keinen Zweifel darüber, daß der Spree-Athener sich von keinem Sprachheiligen aus der »Balanse« ( balance ) bringen läßt. Durchaus Au controleur! ( au contraire ); in der Verteidigung seines Idioms steht er seinen Mann, und geht es nicht »dusemang« ( doucement ), so fehlt es ihm auch nicht an »Kurasche«, seinem Gegner eins an den »Buljonkopp« (von brouillon ) zu geben; »verstandez-vous?«
Ihm ist es ein »Pläsiervergnügen«, seine Sprache französisch zu sprenkeln. Seine »Poussade« sieht er gern in hübscher
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