Das Geheimnis der Sprache (German Edition)
Marlinière, die meisten an die Gespreiztheiten des heute vergessenen Fürsten von Pückler-Muskau; und man kann ruhig zugestehen, daß diese Häufungen von ... à la – comble – faute de mieux – à peu près – vogue la galère – sans rancune – à la bonheur! – cause célèbre – fin de siècle – tout Paris, tout Berlin bis zu tout Frankfurt an der Oder – (»e tutti quanti«) – heute als nicht mehr erträglich empfunden werden.
Aber das betrifft Wandlungen im Sprachganzen, und manche ursprünglich kern deutsche Wendung, die im Zeitenlauf Schimmel und Rost angesetzt hat, mögen wir heute auch nicht mehr.
Vor allem darf man nicht verallgemeinern, nicht einen Nietzsche, Fontane, Grimm, ja nicht einmal einen Spielhagen der Französelei wegen in einen Topf werfen mit irgendwelchen kauderwelschenden Narren, die einmal in Wochenschriften ihre Pariser Fetzen herumschwenkten. Denn in denselben Topf gehörten dann Goethe-Schiller mit ihrem Briefwechsel, der ganze Jean Paul, der halbe Heine, der drittel Bismarck – wozu die Aufzählung, da man doch fragen könnte: wer von den Ganzgroßen gehört nicht in diesen Topf? Tatsächlich sind denn auch von den Sprachstockmeistern der Gegenwart nicht wenige entschlossen, hier kurzen Prozeß zu machen, den italienischen Futuristen vergleichbar, die lieber alle Museen anzünden, als einen Schmierer – wie z. B. Raffael – retten wollen. Dem Futuristenschreck Raffael entspricht im Sinne der Deutsch-Stockmeister der Schmierer Nietzsche, dessen Größe sie nicht begreifen, nicht einmal ahnen, an dessen gewaltige Sprachkunst sie gar nicht herankönnen, weil sie nicht imstande sind, ihren Gesichtskreis über das zunächst Auffällige zu spannen.
Die andere Verallgemeinerung betrifft die Fremdsplitter selbst in ihrer Verwendbarkeit für die redende und schreibende Gegenwart. Weil wir heut ohne tout Berlin , ohne fin de siècle , ohne à quatre épingles und ohne vieux jeu auskommen können, deshalb sollen wir uns zum Allgemeinverzicht bekennen, erzitternd vor dem Beckmesser, der allzeit sein Gemerk bereithält, um uns jede regelwidrige Silbe als Berlin-Französisch anzukreiden:
Sieben Fehler gibt er euch vor,
Die merkt er mit Kreide dort an;
Wer über sieben Fehler verlor,
hat versungen und ganz vertan!
Diese Fehlervorgabe ist so zu verstehen: vermöge besonderer Nachsicht des Aufpassers darf man noch heute vom Park »Sanssouci« sprechen, ohne gerüffelt zu werden; Sanssouci , besser Ohnesorg oder Sorgenfrei, ist zwar ein Fehler, aber er fällt noch unter den Ablaß. Man darf auch, wenigstens in historischem Zusammenhange, das Schloß »Monbijou« nennen, was sehr Berlin-Französisch klingt, und beinahe noch welscher als der Gensdarmen-Markt und das Regiment Garde du corps.
Auch der Orden »Pour le mérite« gehört als geschichtliches Zeichen noch zur zugestandenen Fehlervorgabe und sonst noch verschiedenes, was sich durch eigene Altehrwürde gegen offenen Angriff – nicht geheimen Tadel – zu schützen vermag. Ob sich die Duldsamkeit des Merkers wirklich genau nach der heiligen Siebenzahl richtet, bleibe dahingestellt, ist auch in unserem Zusammenhange belanglos.
Jedenfalls setzt die Ankreiderei mit voller Schärfe ein, sobald die sogenannten entbehrlichen, die überflüssigen Worte und Satzteile sich hervorwagen, kurzum die Fehler, welche das Urteil bedingen »versungen und vertan«! Denn die pedantische Regel ist stets bereit, ihr letztes Wort auszusprechen, sobald die kurzgeschnittene Elle der Notwendigkeit einen Überfluß nachweist. Aber Voltaire hat den schönen Spruch gefunden:
» Le superflu, chose très-nécessaire «,
und wenn irgendwo, so gilt dieses Wort »Das Überflüssige, ein sehr notwendiges Ding!« in Angelegenheiten der Sprache. Hier nun besonders, wo es sich um Arabesken, um Andeutungen handelt, wollen wir uns zu dem scheinbar paradoxen Glaubenssatz von der Wichtigkeit des Entbehrlichen bekennen. Gewiß, Buch und Rede würde nicht gerade sterben, wenn wir gezwungen wären, etliche gallische Wendungen zu unterdrücken; nur wollen wir uns eben aus sehr guten Gründen hierzu nicht zwingen lassen.
»Embarras de richesse« ist als Ausdruck gewiß sehr überflüssig, denn wir können ja sagen: »Verlegenheit aus Überfülle«, oder »Verlegenheit wegen zu großer Auswahl«. Aber spürt ihr nicht, wie das humpelt und stottert, wie die Schlagkraft des Urwortes sich abstumpft? Dieses Urwort war einst der Titel eines Lustspiels (von 1726),
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