Das Geheimnis der Sprache (German Edition)
zu nennen: unübersehbar. Er selbst erklärt im Vorwort seiner Geschichte der englischen Literatur, er habe der fast übermenschlichen Pflicht gehorcht, »nur über selbstgelesene Werke zu schreiben«. Ich hege keinen Zweifel an der vollen Wahrheit dieses Bekenntnisses und beziehe es ohne weiteres auch auf Engels Geschichtswerke der deutschen und französischen Literatur. Das ergibt – selbst wenn man die sehr beträchtlichen anderen Werke Engels außer Ansatz läßt –, ein Gesamtmaß des Wissens von unvorstellbarer Ausdehnung. Man könnte es im Sinne neuester Wissenschaft als »unvollendbar« bezeichnen, wenn es nicht auf tausenden von Druckseiten abgeschlossen und vollendet vor uns läge. Diesem Maß entspricht die Vielfältigkeit seiner Sprachkenntnisse. Von Mithridates, Mezzofanti, Friedrich Müller, Jakob Grimm werden uns Unglaublichkeiten erzählt. Professor Remward Brandstetter in Luzern hat in unseren Tagen eine Studie herausgegeben, die sich auf die Kenntnis von annähernd hundert Sprachen stützt. Ich nehme an, daß Professor Eduard Engel diesen Sprachwundern nahesteht. Und vermöge seiner Herrschaft in so vielen Sprachen müßte er eigentlich auch der sinnreichste Beurteiler und Führer geworden sein, wenn das Wort »soviel Sprachen, soviel Sinne« durchgreifende Geltung besäße. Das aber muß durchaus bestritten werden.
Wir erleben hier das nämliche wie in der Naturkunde bei den Wellenbewegungen. Schall auf Schall gesetzt braucht nicht verstärkten Schall zu liefern, sondern kann Tonlosigkeit ergeben, Licht auf Licht Dunkelheit. Man nennt dies Interferenz, ein unübersetzbares Fremdwort, das auch in Engels Verdeutschungsbuch nicht vorkommt. Es hat aber nicht nur einen bedeutsamen allgemeinen, sondern hier auch einen besonderen Sinn: bei Engel interferieren die Kenntnisse, die Urteile, alle Schwingungen seines so reichen, so lebhaften Geistes. Helltönend und blendend im einzelnen, überdecken sie sich oft an entscheidenden Punkten derart, daß sie einander auslöschen. Und hierauf beruht ein Teil der Widersprüche, die uns überfallen, wenn uns der Sturm seiner Gedankenflüge ergreift.
Ich möchte ihn nicht missen, und ich kehre oft zu ihm zurück, um all die widerspruchsvollen Erregungen durchzukosten, zu denen er Hörer und Leser aufpeitscht. Er reißt mich fort, und ich lasse mich fortreißen, weil ich die Wucht seines Vortrages als etwas Seltenes und Gewaltiges empfinde. Wie ich mich auch vom Vortrag eines alten Kirchenvaters, ja sogar eines genialen Ketzerrichters ergreifen ließe, um Sturm zu genießen. Man braucht nicht vom Inhalt überzeugt zu sein, wenn man nur überzeugt ist, daß da Einer mit der Gewalt seiner eigenen Überzeugung redet. Fast durchweg weiß ich: hier stimmt's nicht, hier wird's brüchig, hier vollkommen falsch und verkehrt. Und trotzdem will ich weiter hören aus Lust an der Beredsamkeit; aus eigenem Widerspruch an so vielen platten Richtigkeiten, die in Legionen talentloser Vertreter ihre Anwälte finden. Bei unserem Doktor Angelicus bleibe ich in Bewunderung, ich ärgere mich rechtschaffen, aber ich langweile mich nicht eine Sekunde in all den Monaten, die ich ihm widme. In mein Handexemplar seiner »Deutschen Stilkunst« schrieb ich nach erster Lesung den Vermerk: Groß und falsch wie die Bibel. Der Vergleich ist gewagt, aber nicht ganz unstimmig. Denn auf das Buch wird geschworen, und dem Ungläubigen droht die Gefahr eines geistlichen Gerichtes.
Zu den Leitsätzen dieser »Stilkunst« gehört eine schrille Fanfare gegen den Humanismus . Schon in der »Geschichte der Deutschen Literatur« setzt sie präludierend ein, hier entwickelt sie sich zu voller, kampffroher Stärke. Mit Hussa und Horridoh geht es gegen den alten Drachen Humanismus, der die reine Jungfrau, die deutsche Sprache, seit Jahrhunderten in Schimpf und Qual gefangen hält:
Bis zum Wagnis des Thomasius, 1687, »war die deutsche Gelehrsamkeit die Hauptfeindin der deutschen Sprache«.
»Gewöhnlich entschuldigt man in Deutschland die schlechte Prosa mit der allgemeinen Redensart vom höheren Formensinn anderer Völker, besonders der romanischen. Ihr widerspricht die Vollendung der Kunstform in der deutschen Lyrik; ihr widerspricht aber auch die Schönheit deutscher Prosa von der mittelhochdeutschen Zeit bis fast zur Mitte des 16. Jahrhunderts, also bis zur Deutschverderbung durch die Humanisterei .«
»Nicht von den humanistischen Affen der alten Lateiner hat er (Luther) seine Vorbilder fürs Deutsche
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