Das Geheimnis der Tarotspielerin: Zweiter Band der Tarot-Trilogie (German Edition)
Deutlich hob sich seine baumlange Gestalt von den Edelleuten ab, die mit ihm ritten.
Wie immer waren Heinrichs prachtvolle Roben sein erstes Mittel zur Untermauerung der Macht. Vielleicht, weil sein Urgroßvater höfischer Gewandschneider gewesen war. Erst Owen Tudors waghalsige, heimliche Hochzeit mit der damaligen Königswitwe hatte die Abkömmlinge walisischer Schafzüchter in schwindelnde royale Höhe erhoben.
Sein Urenkel hatte gelernt, in jedem Augenblick ganz König zu sein. Die Maske der Royalität hatte den gewöhnlichen Menschen in ihm vollständig durchdrungen wie Zuckersirup eine kandierte Kirsche. Dem staunenden Publikum seiner Auftritte blieb nichts als Ehrfurcht. Heinrich wollte, dass von ihm noch in Hunderten von Jahren die Rede gehen möge, er sei ein Titan unter allen königlichen Riesen gewesen, der Vertreter einer gottgewählten Rasse.
»Macht Platz für den König!«, schrien seine Leibgardisten und hieben mit Schwertern wahllos und ohne Rücksicht auf Rang und Namen auf Höflinge ein, die sich zu nah an die königliche Reiterkavalkade heranwagten.
Je näher Heinrich an den Waffenschauplatz heranritt, umso eindrucksvoller wurde er. Das goldene Geschmeide um seinen Hals glänzte, Diamanten in der Größe von Walnüssen funkelten, Edelsteine blitzten auf seinem gefiederten Samtbarett, die Finger waren eine Anhäufung von juwelenbesetzten Ringen.
Ein Soldat jagte über den Rasenplatz auf Lunetta zu, die immer verzweifelter nach einem Ausweg suchte und sich nicht wie die anderen Gaukler in die Zeltstadt zurücktreiben lassen wollte. Sie sah, dass das Gatter zum Waffenschauplatz geöffnet wurde, um den Einritt des Königs zu ermöglichen.
Der Soldat stürmte mit erhobenem Schwert auf sie zu, einem schweren Flammberg mit doppelt geschliffener Klinge. Ariadne scheute. Der Soldat erreichte Pferd und Reiterin, griff sich das Zaumzeug und herrschte sie an: »Steig ab, bevor dich der König niederreitet.«
Lunetta versuchte, ihm die Zügel zu entwinden. Dies war ein Akt der Majestätsbeleidigung, die der Soldat nicht dulden konnte. In seinem Rücken wurde schon das trabende Geräusch von Pferdehufen laut. Womöglich ein Edelmann Heinrichs, der die Sache für ihn beenden wollte. Eine solche Niederlage mochte der Soldat nicht einstecken. Er holte mit dem Schwert aus, als plötzlich der Hieb eines Degens auf seinen Rücken niederging.
Der Gardist wirbelte herum und sah einen leicht gerüsteten Ritter, dessen Gesicht von einem blinkenden Helm geschützt wurde.
»Wer seid Ihr, zum Teufel? Verschwindet, räumt das Feld!«, schrie der Soldat.
»Lasst das Mädchen frei«, herrschte ihn der Ritter an und glitt von seinem Pferd.
Lunetta erkannte die Stimme sofort.
Der Soldat verlor alle Geduld. Mit einem gewaltigen Hieb ließ er das harte Blatt seines Zweihänders auf die leichte Klinge des Degenträgers herabfahren. Lambert spürte den Schlag bis hinauf in die Schulterblätter, doch der geschmeidige Stahl seiner Waffe hielt der Anfechtung stand. Er parierte mit aller Kraft den Schlag.
Blitzend und klirrend kreuzten sich die ungleichen Klingen. Lamberts Vorteil war der flinke Gebrauch der Füße, die beim Degenfechten ebenso entscheidend für den Sieg waren wie die Kraft der Hände oder die Schwere einer Waffe. Sicher in der Kniebeuge ruhend, wagte er Ausfall nach Ausfall und parierte in schnellem Wechsel.
Zaghafter Applaus ertönte aus der Richtung der Tribüne. Nicht wenige Höflinge nahmen an, dass die Waffenschau nun im Gange sei.
Der Soldat kämpfte schwerfälliger, hatte größere Mühe, den Flammberger immer und immer wieder nach oben zu reißen. Doch endlich fing er einen Hieb Lamberts ab und glitt mit seiner schweren Klinge an dessen Degen entlang. Ein Schaben, die Klingen wurden wieder getrennt, der Soldat holte brüllend aus, hieb mit voller Wucht nach dem Fechtarm Lamberts und traf den Gitterkorb des Degens.
Lamberts Griff lockerte sich unter der Wucht des Hiebes, das Schwert des Soldaten bohrte sich zwei Zoll tief in seine Rechte und verfehlte um Haaresbreite die Pulsader.
Lunetta schrie auf.
»Reite los, verdammt, reite!«, schrie Lambert.
»Nicht ohne dich!«, schrie Lunetta zurück.
Lambert verbiss sich den Schmerz, umklammerte den Degengriff fester und beantwortete den letzten Angriff seines Gegners mit einer geschmeidigen Terz, die auf dessen Herz zielte. Seine Degenspitze traf auf das Prunkwams des Soldaten.
»Gib auf«, zischte Lambert. »Ich will dich nicht töten, du trägst
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