Das Geheimnis der Tarotspielerin: Zweiter Band der Tarot-Trilogie (German Edition)
Wahrheit war. Endlich ritt sie kniend und mit wehendem Haar über den Platz. Mit nur einer Hand krallte sie sich in der Mähne der Stute fest, hielt die andere elegant von sich gestreckt und wartete auf einen passenden Moment, ihre Vorstellung abzubrechen.
Leider drängten sich immer mehr Zuschauer bei den Schranken. Ein plötzliches Aufbrechen der Wolkendecke hatte auch die letzten Hofbewohner ins Freie gelockt. Das kalte Licht der Sonne spiegelte sich in den ausgestellten Rüstungen, brachte die Waffen zum Blitzen.
Lunetta passierte das Podest der Armbrustschützen, gedämpfte Beifallsrufe begleiteten sie, während sie nach einer Lücke zwischen den Zuschauern suchte. Der Applaus war zögerlicher und gezierter als vorhin im Küchenhof, aber der Beamte, der den Trupp gemietet hatte, nickte zufrieden. Die kleine Reiterin war eine ungewöhnliche Abwechslung. Lunetta bemerkte dies alles nicht. Sie hoffte, dass sich das Gatter am anderen Ende des Platzes wieder öffnen würde, um weitere Waffen hineinzutragen oder Schlachtrösser herbeizuführen.
Der Gauklerführer postierte sich nun vor der Tribüne, deren Sitzbänke sich allmählich füllten, und tat seinen Ausruf, wettete frech, dass kein noch so geübter Reiter es mit der Kunst seiner Akrobatin aufnehmen könne.
Er schrie und reizte die Herrschaften auf der Tribüne, wagte derbe Scherze in Richtung der Schmiede und Rüstungshändler, bemühte die bekannten Vergleiche von Stuten und Frauen. Endlich warf er sich als Troubadour in Positur und stimmte ein Lied an, das seine Kumpane mit Drehleier und Flöte begleiteten.
Wäre ich ein König,
Ich hätt’für meinen Sattel gern zwei Pferde.
Das eine sanft und brav bezähmt,
Gehorsam, fromm, ganz ohne Tadel,
Treu wie gold sein Leben lang,
Kurz, ein Tier von echtem Adel!
Doch wird durch so viel Tugend
Oft die Lust am schnellen Ritt gelähmt!
Drum geb ich zu – wenn auch beschämt:
Mich dürstet es nach einer zweiten Stute.
Ein ungebändigt’ Tier,
Das sich gegen’s Striegeln wehrt,
Das bockt und lockt, war’ nicht verkehrt,
Gefährlich und voll Feuer in den Nüstern.
Denn – ihr Herren, gebt es zu –
Erst Ungehorsam macht den rechten
Herrn und König wirklich lüstern.
Ach, am besten wäre eine ganze Herde,
So könnt’ ich wechseln nach Herzenslust
Meine braven und meine wilden Pferde.
Amüsiert hoben sich die Brauen einiger Peers. Der Vergleich, der sich aufdrängte, war offensichtlich, doch der Gauklerführer beeilte sich, als Dichter des Liedes den vor Hunderten von Jahren verstorbenen Provencefürsten Wilhelm von Aquitanien zu nennen.
»Wie jeder weiß, der größte höfische Ritter seiner Zeit, ein Betrüger der Damen und kriegerischer Kämpfer, der nie mit seiner Liebe geizte. Nun, Ihr hohen Herren, wer wagt den Ritt auf Ariadne?«
Aus der Deckung heraus rief ein vorwitziger Schmiedeknecht, dass ihn als Preis nicht die Stute, sondern ihre Reiterin locken würde. Die Damen des Hofes sogen hörbar pikiert den Atem ein.
Verträumt lenkten einige Herren den Blick auf Lunetta, die eben mit wehendem Haar die Tribüne passierte. Sie war zurück auf den Rücken des Pferdes gerutscht und griff nun nach den Zügeln, hieb der Stute die Fersen in die Flanken.
»Wenn Ihr erlaubt, möchte ich gegen das Mädchen antreten«, meldete sich ein Mann in Harnisch und Helm. Der Gaukler riss verwirrt den Kopf herum. Die Stimme des Herausforderers kam nicht von der Tribüne, sondern von einem Mann hinter den Schranken.
»Und wer seid Ihr?«, fragte der Gaukler scharf. Es war eine Frechheit, den Vortritt vor den vornehmen Herren zu verlangen. Eine Frechheit, die ihn seine Narrenfreiheit kosten konnte.
Strahlende Fanfarenklänge ersparten Lambert van Berck weitere Erklärungen. Das Dröhnen von Landsknechtstrommeln hallte über den gesamten Platz.
»Der König«, schrie ein Schmied begeistert und aus voller Brust. Auf dem Kaufmannspodest wurden Mützen vom Kopf gerissen. »Vivat«-Rufe erschollen aus den Mündern der Knechte. Alle lenkten die Blicke zur gegenüberliegenden Seite des Feldes, die Mienen der Höflinge erstarrten zu vollendeten Masken der Freude.
7.
Der König trug Pelze und Purpur. Selbst die Schabracke seines Pferdes leuchtete in der uralten Farbe von Herrscherwürde und allem Heiligen. Mit Sorgfalt legte Heinrich es nach seinem Turnierunfall darauf an, zu überwältigen. Die Ärmel seines hermelingefütterten Kurzmantels waren aufwendig gebauscht und wattiert, um seine athletische Erscheinung zu erhöhen.
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