Das Geheimnis der Tarotspielerin: Zweiter Band der Tarot-Trilogie (German Edition)
muss wissen, wie es ihm geht!«
Aus den Augenwinkeln beobachtete Lambert, wie Chapuys einem der Torwächter eilig eine Münze zusteckte.
»Lasst sie durch«, knurrte er, nachdem er die Münze kurz befühlt hatte. »Aber du«, wies er den Yeoman an, der sie bis hierher geführt hatte, »bleibst die ganze Zeit bei ihnen, verstanden?«
Der Yeoman nickte. Sie betraten den Löwenhof, und ihr Führer wählte einen Weg direkt an den Käfigen der königlichen Menagerie vorbei. Hier waren die lebendigen Geschenke untergebracht, die Potentaten aus aller Herren Länder dem König zu übersenden pflegten, darunter ein Elefant und exotisch gefleckte Tiere mit überlangen Hälsen.
Die Fackel des Yeoman ließ in einem der Käfige Löwen verärgert aufknurren. Lunetta tat wie geheißen einen erschrockenen kleinen Schrei. Der Yeoman nickte befriedigt.
»Ja, junge Lady, mit diesen Bestien ist nicht zu spaßen. Den Letzten erhielten wir als Geschenk Suleimans. Er ist jung und kräftig, hat uns schon zwei Mastiffs zerbissen.«
Lunetta musste sich nicht anstrengen, ängstlich zu zittern, sie dachte an Aleander, den Löwen des Glaubens, der noch in dieser Nacht erwartet wurde.
»Bitte bringt uns schnell zu meinem Vater«, flehte sie.
»Löwen, pah«, murmelte Chapuys. »Ihre Symbolik ist überstrapaziert, und die meisten verenden kläglich in diesem Nebelklima.« Sein Blick streifte eine riesige Schildkröte, die ihren Käfig mit drachenähnlichen Geschöpfen aus der Neuen Welt teilte, allesamt Geschenke seines Kaisers an Henry. Beharrlichkeit, dachte er mit Blick auf das zähe, gepanzerte Tier zufrieden, Beharrlichkeit war das wichtigste Talent eines Herrschers. Diese Schildkröte würde den Tudorkönig um Jahre überleben.
Sie folgten dem Weg, der eine Linkskurve beschrieb, durchquerten unter den scharfen Blicken weiterer Wächter den Middle Tower und endlich den Gate Tower. Der Wassergraben und der äußere Mauerring waren überwunden. Der Yeoman leuchtete ihnen den Weg in die Waterlane, eine steinerne Gasse, die parallel zur Themse verlief. Das Glucksen und Schwappen des Flusses war durch das gewaltige Gitter des St.-Thomas-Tores deutlich zu vernehmen. Im Volksmund wurde es Verrätertor genannt, weil durch diesen Wasserzugang die Mehrzahl der Gefangenen zu ihren Prozessen nach Westminster Hall geleitet wurde. Eine Ruderpartie über die Themse trennte sie vom Urteil über Leben oder Tod. Für die meisten war der Fluss auf dem Rückweg von Westminster ihr Hades und die Axt des Henkers der endgültige Ausweg in die Freiheit.
Lunetta lief mit angehaltenem Atem über das Kopfsteinpflaster, Lambert stolperte über seine schweren, steifen Röcke und fluchte leise. Chapuys warf ihm einen warnenden Blick zu und überspielte die Nervosität der beiden mit munterem Geplauder.
»Wie Ihr seht, werte Damen, ist der Tower alles andere als ein düsteres Gefängnisgemäuer.« Er deutete auf die Fachwerkbuden, Werkstätten und verklausterten Lädchen, die wie Schwalbennester an den Festungsmauern klebten. »Des Tags herrscht hier ein munteres Treiben, ganz wie in einem dieser reizenden englischen Marktstädtchen, die ich Euch beschrieb. Es wird gebacken, gebraut, gehandelt, und mehr als zweitausendfünfhundert Münzen werden am Tag geschlagen. Und…«
»Nachts wird hier geschlafen«, brummte der Yeoman. »Zügelt Eure Stimme. Da drinnen ruht mein Weib mit den Kindern.« Er zeigte auf ein Fachwerktürmchen, das auf einen der Wachtürme aufgesetzt war, und bog durch den inneren Mauerring auf das Towergreen ein. Mit Absicht wählte er diesen kleinen Umweg über das Herzstück der Festung. Die Wucht des alles überragenden, frisch geweißten Königspalastes war ein beredtes Zeugnis englischer Stärke seit William dem Eroberer. Ausländern wurde er gern vorgeführt.
»Hier verwahrt der König all seine Waffen und Rüstungen, darunter die zwölf Apostel. Ihr Wert allein liegt bei sechzehntausend Pfund. Sechzehntausend!«
Lambert beugte sich zu Lunetta hinab, die ungeduldig von einem Fuß auf den anderen trat. »Er meint die zwölf Kanonen, mit denen Heinrich die Stadtmauern von Tournai zerschoss. Gewaltige Bombarden. Ich wünschte, wir besäßen jetzt eine.«
»Was interessieren mich Kanonen. Wir müssen weiter«, flüsterte Lunetta ungehalten.
»Und hier seht Ihr den Jewel Tower, uneinnehmbar wie der ganze Palast. Niemand kann hinein oder heraus, wenn der König es nicht will.«
»Verzeiht«, unterbrach ihn Don Eustace. »Aber war es nicht
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