Das Geheimnis der Tarotspielerin: Zweiter Band der Tarot-Trilogie (German Edition)
studierte.
Chapuys winkte lässig ab. »Ah, no! Es ist eine der einfachsten Geheimtinten. Geradezu lächerlich. Wer die Klassiker studiert, findet weitere Rezepte. Ovid empfahl Milch für heimliche Liebesbotschaften, aber der Geruch …« Er rümpfte die Nase. »Versteht Ihr nun, warum ich Eurem Vater täglich Orangen übersandte? Wir konnten unseren Plan unsichtbar für jeden Gegner entwickeln.«
Lunetta senkte den Kopf. »Und ich hätte ihn fast zunichte gemacht durch meine Flucht aus Nell Twinkertons Küche.«
Lambert mischte sich ein. »Die Tinte war eine hübsche Idee, aber was Ihr für morgen Nacht geplant habt, Chapuys, ist gefährlicher. Ich wünschte immer noch, Lunetta käme nicht mit! Das ist eine Sache für Männer.«
Lunetta schüttelte ärgerlich den Kopf. »Eben nicht, Lambert! Warum sonst musst du wohl üben, Frauenkleider zu tragen?«
»Ich wünschte, ich müsste es nicht«, knurrte er und zerrte ein wenig an dem brettsteifen Vorsatz seines Kleides. »Jesus, was habt Ihr Weiber zu erdulden! Dieses Bruststück ist erstickend eng.«
Chapuys nickte. » Sí , aber die weiten Röcke eignen sich so viel besser als Versteck, und nicht einmal ein Yeoman darf es wagen, eine Dame von Stand einer Leibesvisitation zu unterziehen.«
Lamberts blaue Augen blitzten. »Es würde ihnen sehr schlecht bekommen, wenn sie es wagten.«
Chapuys klatschte begeistert in die Hände. »Oh, bewahrt Euch diesen Blick. Der ganze wilde Stolz einer echten Spanierin liegt darin. Ihr werdet mehr als überzeugend sein.«
»Die Spanierinnen haben wohl kaum blaue Augen«, erwiderte Lambert kühl.
Chapuys grinste. »Ihr kennt unsere Prinzessin Maria nicht, ihre Augen sind von sanftestem Taubengrau, mild und freundlich. Die Augen einer kommenden Königin von England.«
Lunetta schwieg; sie erinnerte sich an die Karte mit der Königin der Schwerter, die sie in der Küche von Hampton Court gezogen hatte. Stählernes Grau war die vorherrschende Farbe. Auch wenn die Gabe der Vorausschau ihr genommen war, hatte sie ihre Zweifel daran, dass Maria als Herrscherin einer sanften Taube gleichen würde. Doch sie schwieg. Der merkwürdige Don Chapuys schien eine einzige, zutiefst sentimentale Schwäche zu haben, die keinen Spott vertrug. Sein Herz war erfüllt von leidenschaftlicher Liebe zum Haus der spanischen Habsburger.
»Und nun lasst uns darum beten, dass Bruder Mond uns morgen Nacht nicht im Stich lässt!«
»Bruder Mond?«, fragte Lunetta erstaunt. »Was soll das wieder?«
»So hat der heilige Franz von Assisi dieses wundervolle Nachtgestirn genannt«, erwiderte Chapuys verträumt. »Ja, ich denke, sein Sonnengesang ist das passende Gebet für das richtige Wetter. Eine unverzichtbare Zutat.« Er stand auf und verneigte sich vor einer Madonnenstatue, die in einem marmornen Schrein zwischen den Fenstern stand. Dann kniete er nieder, und sein Zwerg tat es ihm nach. Das Äffchen trennte sich von Lambert und nahm auf seiner Schulter Platz, schloss dösend die Augen. Draußen trommelte unablässig Regen gegen die Fenster. Chapuys’ Gesichtsausdruck wandelte sich. Schlicht und ernst sprach er sein Gebet.
Gelobt seist Du, Herr
durch Bruder Mond und die Sterne
Durch Dich sie funkeln am Himmelsbogen
und leuchten köstlich und schön.
Gelobt seist Du, Herr,
durch Bruder Wind und Luft
und Wolke und Wetter,
die sanft oder streng, nach Deinem Willen,
die Wesen leiten, die durch Dich sind.
Gelobt seist Du, Herr,
durch Schwester Quelle:
Wie ist sie nütze in ihrer Demut,
wie köstlich und keusch!
Gelobt seist Du, Herr,
durch Bruder Feuer,
durch den Du zur Nacht uns leuchtest
Schön und freundlich ist er am wohligen Herde,
mächtig als lodernder Brand.
Gelobt seist Du, Herr,
durch unsere Schwester, die Mutter Erde,
die gütig und stark uns trägt
und mancherlei Frucht uns bietet
mit farbigen Blumen und Matte.
Gelobt seist Du, Herr,
durch die, so vergeben um Deiner Liebe willen
Pein und Trübsal geduldig tragen.
Selig, die’s überwinden im Frieden:
Du, Höchster, wirst sie belohnen.
Gelobt seist Du, Herr,
durch unsern Bruder, den leiblichen Tod;
ihm kann kein lebender Mensch entrinnen.
Wehe denen, die sterben in schweren Sünden!
Selig, die er in Deinem heiligsten Willen findet!
Denn sie versehrt nicht der zweite Tod.
Lobet und preiset den Herrn!
Danket und dient ihm in großer Demut!
»Assisis Worte als Wetterzauber! Welch ein blasphemisches Trio da kniet«, murmelte Lambert neben Lunetta und ergriff ihre Hand. »Chapuys ist ein seltsamer
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