Das Geheimnis der Tarotspielerin: Zweiter Band der Tarot-Trilogie (German Edition)
half nichts. Sie musste es sagen. Es lag so nah. »Warum gehst du dann in Hurenhäuser?«
Wie von einem Messerstich getroffen, fuhr Gabriel auf. Sidonia fühlte, dass Scham ihre Wangen brennen ließ. Sie war zu weit gegangen. Wie konnte sie ihm einen so hässlichen Vorwurf machen? Hatte sie nicht eben selbst die Nähe verspürt, die nur eine starke Liebe erzeugen konnte? Zur Hölle mit ihrem van Berck’schen Temperament, das jeden Schmerz nach außen kehrte, in törichte Angriffe verwandelte und zu zerstören drohte, was es liebte.
Gabriel schlug die Decke zurück und stand auf. Sidonia krümmte sich unter den Pelzen, erwartete Vorwürfe, hoffte auf eine ihrer heftigen, kurzen Streitigkeiten, auf eine erneute Beteuerung seiner Liebe. Doch ihr Mann schwieg, während er sich ein Hemd überstreifte und in schwarze Beinlinge schlüpfte. Sein Schweigen verbrannte sie bis ins Innerste. Mit nüchterner Sorgfalt nestelte Gabriel den Hemdsaum an den Beinlingen fest, griff nach Pluderhose und Wams. Erst als er vollständig bekleidet war, drehte er sich zu ihr um, schien seine Worte so sorgfältig zu wählen wie Hose und Hemd. »Woher weißt du es?«
Sidonia schnappte verblüfft nach Luft und schnellte hoch. Alles hatte sie erwartet, nur das nicht.
»Du gibst zu, dass du Huren besuchst?«
»Warum nicht?«
»Wie kannst du so kaltblütig sein! Wie kannst du unsere Liebe so verraten. Mich so beleidigen und verletzen?«
Gabriel drückte sich ein schwarzes Barett aufs Haar. »Ich bin nicht kaltblütig, sondern zornig, Sidonia. Du hast mich in jeder nur erdenklichen Weise beleidigt. Du achtest meine Liebe so gering, dass du sie mit den flüchtigen Launen eines Lüstlings vergleichst. Du nennst das, was uns verbindet, Satanswerk. Glaubst du, ich spüre den Schmerz über unsere Kinderlosigkeit nicht ebenso wie du? Ich würde alles riskieren, um dir die Mutterschaft zu ermöglichen, sogar mein Leben! Wenn du wüsstest…« Er brach ab. »Wir werden ein anderes Mal darüber reden«, schloss er knapp.
»Gabriel, bitte…«
Glockengeläut schlängelte sich in die Gasse vor dem Kaufmannshaus. Klingende Töne sprangen von Mauer zu Mauer, hüpften an Fachwerkhäuschen hoch und perlten hell von den Steingiebeln des Hauses van Berck herab.
»Ich muss hinaus nach Melaten und Goswin holen.« Mit diesen Worten verließ Gabriel Zimenes das Schlafgemach. Mahnend erklang der Bass zweier Domglocken und gab Kölns Pfarrkirchen den Einsatz für das allgemeine Morgengeläut. Verfluchte Glocken! Sidonia zog sich die Decke über den Kopf.
Es klingelte, bimmelte, dröhnte, schellte, wogte, zirpte und brauste von über zweihundert Kölner Kathedralen, Kapellentürmchen, Klosterdächern und dem Gestühl des nahen Rathausturms. Sidonia hielt sich die Ohren zu. Ihr Gehirn arbeitete fieberhaft. Sie würde Gabriel heute Abend um Verzeihung bitten. Sicher gab es eine Erklärung für seine Besuche bei Huren. Es musste eine geben!
Genau wie es eine Erklärung dafür geben musste, warum sie kein Kind empfangen konnte. Wenn Gabriel als hervorragender Arzt sie nicht fand und auch die englische Kräuterfrau Catlyn scheiterte, dann würde sie woanders danach suchen! Köln war voll von Wahrsagern, die mit dem Pendel arbeiteten oder mit toten Fröschen, Fischblasen oder Knochen orakelten. Ganz egal was, sie musste jemanden finden, der ihr verraten konnte, was sie tun musste, um Gabriels Kind zu empfangen.
Tringin kannte sich mit heimlichen Weibern und Fruchtbarkeitszaubern aus. Sie würde die Magd befragen. Sie würde… Halt! Was für ein Dummkopf sie war.
Sie brauchte nicht mit dem Gesinde zu plaudern oder in finsteren Gassen und Höfen umherzustreifen, um weiße Hexen oder Wunderheiler zu suchen. Der Gesang der Glocken verschwebte. Sidonia sprang aus dem Bett und begrüßte fröhlich die fahle Dämmerung. Die Stundenglocken übernahmen mit schlichter Strenge und verkündeten die achte Stunde. Rasch kleidete sie sich an. Lunetta wird mir die Karten legen!, dachte sie aufgeregt, während sie vor einem Spiegel die Haube anlegte. Das Tarot war schon einmal ihrer aller Rettung gewesen vor… Sidonia weigerte sich, den Namen auch nur im Stillen zu buchstabieren. »Vor dem Teufel«, zischte sie und sah im Spiegel nichts als Hass.
4.
Lunetta stand zögernd vor der Tür des Kontors im Erdgeschoss des Hauses. Gedämpftes Stimmengemurmel drang zu ihr. Wandfackeln warfen tanzende Schatten auf die mit Bienenwachs polierten Dielen. Tringin hatte sie noch vor Anbruch
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