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Das Geheimnis der Tarotspielerin: Zweiter Band der Tarot-Trilogie (German Edition)

Das Geheimnis der Tarotspielerin: Zweiter Band der Tarot-Trilogie (German Edition)

Titel: Das Geheimnis der Tarotspielerin: Zweiter Band der Tarot-Trilogie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marisa Brand
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geöffneten Mündern. Gelegentlich entschlüpften ihnen Seufzer reinen Entzückens. Der Zauber des Friedens verschönte ihre groben oder verhärmten Gesichter.
    »… ihr seid gesegnet und umfangen von der immerwährenden Liebe des Herrn«, strömten die Worte auf sie herab. Es war, als umhülle der Mann sie mit seinem Talar aus weich gewebtem, grauem Chamelot.
    »Glaubt nicht denen, die euch verfluchen, euch benutzen und behaupten, dass ihr die Sünde seid oder die Versuchung. Es war Maria Magdalena, die das Schändlichste mit dem Heiligsten verband. So wie ihr.«
    Die Tür zum Schankraum wurde aufgestoßen. Trübes Licht drang vom Hof herein, in den die Mittagssonne nie ihren Weg fand. Einige Frauen drehten die Köpfe, wisperten sich Warnungen zu, doch der Prediger brachte sie zum Verstummen, indem er unbeirrt fortfuhr.
    »Ein jeder, der in Versuchung gerät, wird von seinen eigenen Begierden gereizt und gelockt, sagt Jakobus. Und wenn die Begierde empfangen hat, gebiert sie die Sünde, die Sünde aber gebiert den Tod. Als Jesus am Kreuz das Werk der Erlösung vollbrachte, sagte er über seine Peiniger: ›Sie wissen nicht, was sie tun.‹ Und auch ich sage: Wer euch flucht und richtet, weiß nicht, was er tut. Er verkennt die Schönheit und Güte Gottes, die sich in euch offenbart, denn er hat euch gezeichnet und gesegnet vor allen anderen.«
    Begleitet vom Grunzen der sich draußen suhlenden Schweine betrat der Scharfrichter das städtische Hurenhaus, auf dem die kölnische Dreikronenflagge flatterte, und verharrte auf der Schwelle.
    Der Prediger hob kaum merklich die Stimme, gab ihr eine noch verlockendere Melodie. »Ihr alle steht nicht unter, sondern über der Moral dieser verdorbenen Welt. Ihr, die Elenden dieser Erde, seid in Wahrheit berufen, Gott zu sehen, wie er ist. Erhaben, allmächtig und bereit, euch – die ihr das Leid kennt, wie sein eingeborener Sohn es kannte – in Liebe anzunehmen. Spürt seine Liebe, gebt euch seiner Liebe hin, und ihr werdet unverwundbar sein und ewig wie sein Licht. Amen.«
    »Amen«, antworteten voll seufzender Hingabe die Huren, während der Prediger segnend die Hände hob. Die Huren fielen von ihren Schemeln und Bänken in die Knie. Mit einer Freude und – ja – Wollust, die ihnen in jeder Kirche tadelnde Blicke eingebracht hätte. Das schmutzige Bodenstroh raschelte, Getreidespelzen wirbelten auf.
    Der Scharfrichter schloss die Tür mit einem harten Tritt. Niemand beachtete ihn. Außer dem Hurenwirt, der träge hinter einem aufgebockten Schanktisch hockte, Läuse von seinem Schädel kratzte und zwischen Daumen und Zeigefinger zerrieb. Jetzt sprang er auf die Füße und riss den roten Stuhl vom Haken, der stets für den Blutvogt reserviert war. Er klappte ihn auf, platzierte ihn vorm Schanktisch und machte eine einladende Geste in Richtung des Henkers.
    Der Mann im roten Wams legte herrisch den Kopf in den Nacken und schritt den Weg bis zum Schanktisch stolz wie ein Gebieter ab, der er über diese Einrichtung tatsächlich war. Neben den Kloakenreinigern, Hundeschlägern und Kadaversammlern beaufsichtigte er auch Kölns Huren. Schwerfällig nahm der massige Mann auf dem roten Stuhl Platz und fixierte mit zusammengekniffenen Augen den Prediger, der oben auf der Galerie mit dem Dunkel verschmolz.
    Eilig setzte der Hurenwirt einen schäumenden Humpen vor dem Henker ab und schob wortlos einige Münzen über den Brettertisch. Der Scharfrichter fegte sie wie beiläufig in seine Hand und ließ sie in eine Tasche seines Wamses gleiten.
    Ärgerlich darüber, dass der Henker nicht nachzählte, bemerkte der Hurenwirt: »War wieder eine besonders lohnende Nacht gestern.«
    Der Henker nahm einen Schluck Bier und wischte sich den Mund. »Ist er immer noch hier?« Er nickte in Richtung des Predigers.
    Der Hurenwirt bückte sich unter der Frage. Seine Augen flitzten zu dem Mann in Grau, dann zurück zum Schergen. »Master Elias zahlt eine fürstliche Miete für das kleine Haus im Hof. Hier.« Rasch schob der Wirt eine silberne Münze nach. Der Henker nahm sie, biss hinein.
    »Nein, das ist kein Schwarzgeld«, triumphierte der Wirt, der sich oft über seine Kunden ärgerte, die sein Bier und die Dienste der Huren mit weichen Kupfermünzen zahlten. Diesem schäbigen Notgeld für Bettler und Tagelöhner, das sich innerhalb weniger Wochen, manchmal sogar Tagen dunkel verfärbte und damit seinen Wert verlor. Der Henker betrachtete die Münze genauer. »Englisch, hm?«
    Der Hurenwirt nickte.

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