Das Geheimnis der Tarotspielerin: Zweiter Band der Tarot-Trilogie (German Edition)
Gesichter. Zernarbte, geschlitzte, gebrandmarkte Opfer seines Handwerks. Er drehte sich nach dem Hurenwirt um, der unter den Schanktisch abgetaucht war. Der Henker hob die Fäuste und wollte ausholen. Eine der Dirnen riss sein verlorenes Messer hoch, richtete es entschlossen gegen ihn.
»Ihr guten Weiber, lasst von ihm ab«, mischte sich der Prediger ein. »Er kann mir nichts tun. Geht. Geht auf eure Kammern.« Die Frauen zogen sich murrend und schimpfend zurück.
»Du schürst Aufruhr«, keuchte der Henker, als die Schankstube leer war.
Der Prediger lächelte und schüttelte den Kopf. »Nicht ich, sondern du hast die Gemüter erregt und dafür gesorgt, dass sich dein eigenes Messer gegen dich richtete.« Er beugte sich vor und brachte seinen Mund nah an das Ohr seines Gegenübers. »Es ist besser, sich mit dem zu verbünden, das sich nicht beherrschen lässt.«
»Ich kann dich jederzeit an die Obrigkeit ausliefern und vernichten.«
»Mag sein, aber ich spreche nicht von mir.«
»Von wem dann?«
»Dem sogenannten Bösen«, hauchte der Prediger.
Der Henker fuhr zurück. Nie hatte er eine solche Frechheit gehört, eine so dreiste Lästerei. Und doch schien der Mann vor ihm ganz in sich zu ruhen, unerschütterlich und frei von jeder Angst und jedem religiösen Eifer.
»Glaube mir, es ist einfacher, die Verdammten mit ihrem Los zu versöhnen und in den eigenen Dienst zu nehmen, um die wahren und großen Sünder zu vernichten«, fuhr der Mann in Grau schmeichelnd fort. Er zog einen Samtbeutel unter seinem Talar hervor. »Und es lohnt sich.« Er drückte dem Scharfrichter den prall gefüllten Beutel in die Hand.
»Das ist Bestechung. Ich muss dich beim Gewaltrichter anzeigen.«
Der Prediger schüttelte den Kopf. »Du verstehst noch immer nicht. Ich verlange nicht, dass du deine Pflichten vernachlässigst. Im Gegenteil. Ich will, dass du ihnen gründlich nachkommst.«
Gier glitzerte in den Augen des Scharfrichters. »Woher hast du das?«
»Aus der privaten Schatulle eines mächtigen Königs. Schau dir die Münzen an, sie tragen die Rose von Henry Tudor.«
»Henry wer?«
»Der englische König, mein Freund.«
Misstrauisch zog der Scharfrichter eine Münze aus dem Beutel, biss hinein und betrachtete dann die Krone des Monarchen. »Du bist also ein Dieb?«
Der Prediger schüttelte bedauernd den Kopf. »Du hältst mich für sehr dumm. Ich bin Master Elias, und der erste Minister des Königs, Thomas Cromwell, zahlt mich.«
»Thom… wer? Ach, egal. Wofür?«
»Unter anderem dafür, einen gefährlichen Aufwiegler zu vernichten, der aus London nach Köln kam.«
»Was gehen uns die Feinde Englands an?«
»Nichts. Aber die Feinde Kölns sollten dich interessieren. Sagt dir der Name Lambert van Berck etwas?«
Die Augen des Henkers verengten sich zu Schlitzen. »Gegen dieses feine Bürgersöhnchen lässt sich nichts ausrichten. Sein Vater hat ihn schon einmal vom Scheiterhaufen freigekauft, dabei hat man ihn im Dom bei ketzerischen Reden erwischt. Im Dom!«
Aleander nickte seufzend. »Ja, bei Gott, es ist eine Schande, dass jeder arme Wollweber, der im Suff ein Heiligenkreuz schief anschaut, brennen muss, aber ein ausgemachter Lutheraner davonkommt, wenn er nur genug Geld besitzt. Und beherbergt van Berck nicht auch einen Spanier von zweifelhaftem Leumund? Einen Gabriel Zimenes?«
Der Scharfrichter nickte. »Ja. Der macht mir meine Huren wirr, indem er sie behandelt, als seien sie ehrbare Patientinnen. Zimenes pfuscht mir sogar ins Handwerk. Schreitet ein, wenn ich sie durchprügeln muss, weil sie aufmüpfig werden. Aber so ist die Welt beschaffen, wer Geld hat, kann sich alles erlauben.«
Der Prediger nickte verständnisvoll. »Nun, auf wiederholte Ketzerei steht auch in Köln unwiederbringlich der Tod! Und mit etwas Zeit und Geduld lassen sich gewiss Nachweise erbringen, dass das Haus van Berck ein Pfuhl der Sünde ist. Ich werde dir dabei helfen.«
»Und was muss ich tun, um dir zu helfen?«, fragte der Scharfrichter und ließ den Geldbeutel in seinem Wams verschwinden.«
»Um genau zu sein: nichts.«
»Was soll das heißen?«
»Warte einfach ab. Der Untergang des Hauses van Berck ist nur noch eine Sache von Tagen, aber er wird vollkommen sein, und dann können du und der Tod reiche Ernte halten.«
5.
Endlich ein heißer Burgunder! Goswin führte den Mund an den Rand des glühheißen Bechers und nahm genüsslich einen Schluck. Ah, Zimt! Und Nelken! Ein Hauch von Orangen. In Spanien setzte man sie im
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