Das Geheimnis der Tarotspielerin: Zweiter Band der Tarot-Trilogie (German Edition)
seinem üblichen Handelsgut – ob Pelze, Stockfisch, Korn oder Seide – zuzuladen hatte.
Lunetta erkannte auf einer der Kisten das kölnische Dreikronenwappen, sah auch Schwertfässer und lange Hellebarden-frachtkästen, die mit rheinischen Siegeln verschlossen waren. In verzweifelter Suche ließ sie den Blick über die bunte Menge schweifen. Kannte sie jemanden? Würde vielleicht doch noch, in letzter Minute, ein rettendes Gesicht auftauchen? Man musste sie doch vermissen! Ihre Freunde würden sie gewiss suchen. Sidonia war bestimmt krank vor Sorge, Claas van Berck würde alles aufbieten, was ihm noch möglich war, um Hilfe zu senden, vielleicht war Goswin noch nicht nach England übergesetzt oder Lam…
Ihre Hoffnung sank in sich zusammen wie ein Flämmchen auf feuchtem Zunder. Was redete sie sich da ein! Es gab keine Rettung. Sie war auf sich gestellt, wenn sie das Leben ihres Vaters sichern wollte und damit auch das Haus van Berck, das auf die Fürsprache und den Beistand des Grafen von Löwenstein angewiesen war. Darum war sie hier.
»Das Schiff legt gleich ab«, drang von links die schmeichelnde Stimme Aleanders an ihr Ohr. »Der Schmied hat uns eine Kabuse unter Deck gesichert. Komm.«
Er streckte ihr die Hand entgegen. Lunetta wich zurück. Der Wind blähte ihren Schleier, das Gebende löste sich und gab einige Strähnen ihres Haares frei.
Aleander haschte danach und schob sie sorgsam, beinahe zärtlich unter den Schleier zurück. Lunetta ließ es mit einem Ausdruck des Ekels geschehen. »Ich habe dir auch neue Kleider besorgt.«
»Wenn Gabriel erst aus dem Turm freikommt, wird er mich suchen«, fauchte das Mädchen und wischte sich die Wange, als wolle sie Aleanders Berührung auslöschen.
Ihr Gegenüber betrachtete sie gelassen. »Er wird die Stadt nicht verlassen dürfen. Auf dem Haus van Berck lasten zu viele Verdächtigungen. Zimenes ein möglicher Leichenfledderer, der Sohn des Hauses ein ehemaliger Ketzer und nun Mörder. Selbst der Vater hat Drohungen gegen die bedauernswerte Catlyn ausgesprochen. Der Gewaltrichter wird alles sehr genau prüfen.«
Lunetta schüttelte seine Hand ab, sah direkt in das strahlende Grau seiner Augen. Wer hatte je behauptet, dass schwefliges Gelb die Farbe Satans war?
»Du Teufel hast meinem Onkel und Lambert diese Fallen gestellt«, zischte sie.
Bedauernd zog Aleander die Brauen zusammen. »Teufel? Begreife endlich, dass ich dein wahrer Freund bin, der dir helfen kann, deinen Vater aus dem Tower zu holen! Ich allein habe den sicheren Tod von Zimenes und den Untergang der van Bercks verhindert.«
»Das sind Lügen!«
»Es sind Tatsachen, Lunetta. Gabriel hat Huren seziert und Lambert seine schwangere Frau abgekehlt, um sich statt ihrer die Tochter des Grafen von Löwenstein zu sichern, und dein Vater … nun, er hat sich auf gefährliche Diplomatenintrigen eingelassen. Sie alle erlagen ihren eigenen Versuchungen. Zimenes dem Hochmut des Wissenschaftlers, dein Vater seiner politischen Eitelkeit und Lambert der Wollust.« Seufzend setzte er hinzu: »Für ihn weiß ich leider keine Rettung. Sein Verbrechen ist zu abscheulich.«
Verzweifelt schüttelte Lunetta den Kopf. »Lambert hatte überhaupt keinen Grund zu morden. Er wollte mich nie heiraten.« Sie schluckte. »Er liebt mich nicht.«
»Mag sein«, erwiderte Aleander nüchtern, »aber Claas van Berck gab ihm entsprechende Anweisungen, um nicht zu sagen Befehle. Das Laster des Alten ist sein maßloser Ehrgeiz.«
»Nie und nimmer hat Lambert getötet, um den Ehrgeiz seines Vaters zu befriedigen. Er kann es nicht gewesen sein. Er …« Sie brach ab und griff Halt suchend nach der Reling. Sie umklammerte das glatte Holz so heftig, dass ihre Fingerknöchel wie tönerne Murmeln hervorragten. Hinter ihrer Stirn rasten Gedanken in wilder Jagd, an ihre Spitze setzte sich das Bild von Lambert auf einem nachts davongaloppierenden Pferd. Es gab kein anderes Bild, keine erlösende Vision, die es korrigierte. Wenn sie doch nur ihre Karten oder das Buch hätte! Irgendein Mittel, um die Wahrheit zu ergründen.
Aleander trat dichter an sie heran, seine Stimme nahm einen vertraulichen, schmelzenden Klang an, der Lunetta erschreckte. »Der Herr hat deine Schritte nicht umsonst auf mich zugelenkt. Er will, dass sich die Essenzen unserer Seelen mischen. Wir beide sind für eine große Aufgabe erwählt, Lunetta. Alles, was ich tat, geschah zu deinem Besten. Ich habe dir die Sündhaftigkeit der Menschen enthüllt, an die du
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