Das Geheimnis der Tarotspielerin: Zweiter Band der Tarot-Trilogie (German Edition)
applaudierten. Der livrierte Beamte wog skeptisch das Haupt. Lunetta nutzte die laute Begeisterung der Bauern und Bettler, um zu der immer noch unruhigen Stute vorzudringen.
Ein Wachmann hielt sie mit eiserner Faust beim Zügel und zischte dem Tier Verwünschungen und Drohungen ins Ohr. Lunetta glitt zu ihm hin, zog sich die Ballonmütze vom Kopf und ließ ihr Haar frei. Der Soldat beobachtete die Verwandlung des Küchenjungen in ein Mädchen mit Verblüffung.
»Wer bist du?«, herrschte er Lunetta an.
»Eine Gauklerin, was sonst«, erwiderte sie lachend.
»Ich habe dich nicht hereinkommen sehen!«
»Oh, ich kann dir beweisen, dass ich dazugehöre«, erwiderte Lunetta keck. Sie sah sich kurz um, lief zu einer Kiste, drehte sie um und platzierte sie als Aufstiegblock neben Ariadne. Das Pferd wandte den schweren Kopf, begann rückwärts zu tänzeln. Lunetta griff in seine Mähne, beugte sich zu seinen angelegten Ohren und flüsterte dem Tier etwas zu. Dann schwang sie sich in einer glatten, geschmeidigen Bewegung auf seinen Rücken.
Die Stute stellte die Ohren auf, wieherte protestierend, bäumte sich auf, schnaubte und stieg in wilder Bewegung. Lunetta saß mit geradem Rücken, wie es schien, völlig unbeeindruckt. Das Tier kam mit schweren Hufen wieder auf dem Pflaster auf, begann zu bocken und nach hinten auszuschlagen.
Lunetta krallte sich fester in seine Mähne, beugte sich wieder vor und flüsterte dem Tier besänftigende Worte ins Ohr, strich ihm über den Hals, und zur Verwunderung aller Umstehenden drehte sich Ariadne plötzlich in einer vollendeten Piaffe, schnaubte noch einmal und stand still.
Lunetta nahm dankend den Applaus entgegen, zog die Beine an, kniete sich auf den Rücken des Wildpferdes, setzte einen Fuß vor und erhob sich langsam, breitete die Arme aus.
»Du bist eine Närrin!«, schrie der Anführer des Gauklertrupps und raste auf das Pferd zu, griff in seine Zügel. Beifall übertönte seinen Warnschrei. Der Mann griff nach Lunettas rechtem Bein und zwang sie, in den Sitz zurückzugleiten, dann zog er sie vom Pferd.
»Was soll das, bist du irre?«
»Nein, aber eine Närrin, wie du vermutet hast. Ich kenne eure Tricks und Kniffe. Das Tier ist gut abgerichtet, nicht wahr? Nur wer die Befehle nicht kennt, bekommt seinen Unmut zu spüren.«
Der Gaukler legte den Zeigefinger an die Lippen. »Psst, nicht so laut.«
Lunetta lachte. »Früher habe ich vorgeblich wilde Bären bezähmt. Auf dem Seil kann ich ebenfalls laufen und Karten legen. Bitte, nimm mich mit in den Palast.«
»Du bist bereits drinnen!«
Lunetta zwinkerte. »Ja, aber ich möchte später auch gern wieder hinaus. Hilf mir, Bruder.«
Der Gaukler schüttelte kurz den Kopf. »Nun gut«, sagte er nach kurzer Überlegung. »Du könntest die Wildpferdwette bereichern. Höflinge, die gegen ein junges Mädchen antreten. Ja, das könnte Beifall finden … Aber übertreibe es nicht mit deiner Reitkunst, die Eitelkeit der Männer könnte rasch gekränkt werden.«
Lunetta senkte verschwörerisch die Stimme. »Keine Angst, ich weiß, wie man im richtigen Moment hinunterfällt. Das ist immer die wichtigste Übung!«
»Aber erst ganz zum Schluss, der Wetteinsatz ist das Pferd, ich will es nicht verlieren.«
»Vertrau mir.«
Der Mann legte einen Daumen an Lunettas Wange und rieb den Ruß fort. »Hm, sogar hübsch bist du. Nun, du brauchst ein Kostüm. Mal sehen, was ich noch in meinem Sack finde.«
3.
Der Lärm in der Großen Halle war ohrenbetäubend. Ein Gewirr von zweihundert Stimmen, Gelächter, Geschrei, das Klappern von Zinntellern, Schmatzen und Rülpsen von zweihundert Höflingen durchsummten den Bankettsaal und hallten ungedämpft von der Stichbalkendecke wider.
Lambert van Berck saß vor seiner trockenen dunklen Brothälfte und betrachtete mit wachsender Nervosität die Männer um sich herum. Gewiss: Sein blinkender Harnisch, das neue seidenblaue Wams, das er sich hinzugekauft hatte, die Reitstiefel und der prachtvolle Helm, den er neben sich abgelegt hatte, gereichten ihm zur Ehre. Man hatte ihn – ausgerüstet mit den Passierscheinen vom Stalhof – zum Saal zugelassen. Doch die fragenden Blicke seiner Tischnachbarn und ihre gerunzelten Brauen erinnerten ihn daran, dass er unter falschem Vorwand hier war. Und ein Blick zu der Gewölbedecke erhöhte seine Unruhe.
In schwindelnder Höhe schwebte das Trägerwerk, war verschwenderisch vergoldet und geeignet, den Mut des tapfersten Ritters schrumpfen zu lassen. Es
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