Das Geheimnis der Tarotspielerin: Zweiter Band der Tarot-Trilogie (German Edition)
in letzter Zeit beständig über Heinrichs Schwächen. Nichts war sicher vor ihrem Spottmaul, sei es die zunehmende Größe seiner Unterwäsche oder die abnehmende Kraft seiner Manneszierde.«
»Weiß Heinrich davon?«
Cromwell schüttelte den Kopf und betrachtete ein Paar vorbeigleitender Schwäne. »Wozu sollte ich ihm die Details präsentieren? Er hasst Anne ohnehin unwiderruflich. Nein, diese Informationen müssen erst zu einer Beweiskette verknüpft werden, die nur ein Verdikt zulässt: Hochverrat! Für dieses Vergehen haben wir heiligmäßige Mönche gerichtet. Wir haben den Lordkanzler More, den der König geradezu liebte, unters Beil geschickt und Bischöfe enthauptet, die ihn erzogen hatten.«
Aleander nickte anerkennend. »Könige, die auf Freunde verzichten können, sind unbesiegbar.«
Der Minister überging den Einwurf. »Das Volk würde jubeln, wenn wir zur Abwechslung eine Person aufs Schafott schickten, die es von Herzen hasst!«
»Anne Boleyn. Ihr Kopf für Katharinas Qualen.« Aleander nickte erneut. »Ja, das Volk liebt das Märchen von der ausgleichenden Gerechtigkeit. So wäre aus ihrem Tod Nutzen zu ziehen.«
»Bleibt immer noch die Frage, was Annes Verrat am König war.«
»Zählt es nicht als Hochverrat, wenn eine Königin sich Liebhaber nimmt?«
»Nur für die Liebhaber.«
»Die sie zum Verrat angestiftet und denen sie eine spätere Heirat im Falle von Heinrichs Tod in Aussicht gestellt hat… Cromwell, es gibt genug Möglichkeiten. Und das Volk nennt Anne nicht nur eine Hexe, sondern auch die Großhure! Umgibt sie sich nicht vor allem mit Männern? Lässt sie sich nicht gern umschwärmen?«
Cromwell riss den Kopf herum. »Aber sie hat keine Liebhaber. Dazu ist sie zu gerissen.«
Aleander lächelte fein. »Gewiss, aber Beweise lassen sich immer beschaffen und Zeugen … Herrje, Zeugen! Das Streckbrett produziert sie wie eine Schmeißfliege im Sommer die Eier. Vertraut mir, ich kenne mich aus. Und je unerwarteter und ungeheuerlicher eine Anklage ist, umso schwerer fällt es dem Angeklagten, sich zu verteidigen. Man müsste nur darauf achten, dass Anne vor ihrer Verhaftung nichts von der Art der Anschuldigungen erfährt.«
Cromwell strich sich über das bartlose Kinn, hinter seiner Stirn wimmelten die Gedanken wie Ratten umeinander. »Das bereitet mir wenig Sorge. Der König ist Meister in der Kunst der Täuschung und imstande, einen behaglichen Abend mit seiner Gemahlin zu verbringen, für die er eben den Haftbefehl unterschrieben hat.«
»Ein großer Herrscher.«
»Der beste! Nun, Ihr seid nicht dumm, Aleander von Löwenstein.«
»Es liegt an Euch. Ihr inspiriert mich, Sire«, gab sein Gegenüber das Kompliment zurück. »Wenn ich nun eine Bitte vortragen dürfte?«
»Sprecht!«
Eine Stromschnelle packte das Boot, ein gewaltiges Beben erfasste die Barke, pfeilschnell schoss sie dahin.
2.
Lunettas Mut sank. Sie schmiegte sich tiefer in eine Nische des wuchtigen Mauerbogens, der den Küchenflügel vom letzten Innenhof trennte. Nicht mehr als fünfzig Schritte lagen nun noch zwischen ihr und dem Weg in die Freiheit. Doch der letzte Hof der Gebäudeflucht war gesichert wie eine Festung und sein Torhaus so gut bewacht wie das Haupttor zum Palast.
Nell Twinkerton hatte recht gehabt, es war schwer, dem Gewinkel des Küchentrakts zu entkommen.
Es hatte sie Stunden gekostet, um sich unbemerkt durch die vielen Höfe und die über fünfzig Kochhäuser, Back- und Bratstuben, die Speicher und Vorratskammern bis zum Torhof vorzuarbeiten, durch den Lieferanten Zugang zum Palast hatten. Um bis hierherzugelangen, hatte sie sich in kalten Herdstellen verborgen gehalten, war in leere Fässer geschlüpft, immer in Erwartung eines Augenblicks, in dem die Aufmerksamkeit des Küchenpersonals abgelenkt war, um den jeweiligen Raum zu durchqueren. Sie hatte ihr Gesicht mit Ruß geschwärzt und die Haare unter einer wollenen Ballonkappe verborgen, die ein achtloser Spießdreher abgelegt hatte.
Erst gegen fünf Uhr, als die Garküchen lebendig wurden, war sie rascher vorangekommen. Wie Dutzende anderer Küchenjungen, die zwischen Salzhaus, Fleischlade und Rupfkammer hin- und herflitzten, um Zutaten für die eben ausgegebenen Tagesrezepte zu holen, war auch sie umhergeeilt, hatte sich zur Tarnung hier eine Schale gegriffen, dort eine Kanne. Und im Grau der Dämmerung endlich den letzten Hof erreicht, der von acht Gardisten bewacht wurde. Zu oft hatten sich in den frühen Tagen von Heinrichs Regierung
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