Das Geheimnis der Tarotspielerin: Zweiter Band der Tarot-Trilogie (German Edition)
ihm entfernt war, trat er mit einer Verneigung an ihn heran.
»Master Cromwell!«
Der Minister schaute kurz hoch, seine Miene verfinsterte sich. »Was wollt Ihr hier?«
»Von meiner Reise auf den Kontinent berichten.«
»Ich habe keine Zeit«, sagte der Minister barsch und eilte weiter. Aleander ließ sich nicht abschütteln.
»Es geht um eine Dreistigkeit von Chapuys. Er hat meinen speziellen Gast entführt, das Mädchen …«
» Euren Gast?«
»Nun, unseren Gast natürlich! Ein Verlust, Sire. Ein schmerzlicher Verlust.«
Der Minister raffte wortlos den Umhang und betrat den Laufsteg. Ein Ruderknecht salutierte, streckte ihm die Hand entgegen und half ihm an Deck. Dort drehte sich Cromwell um. »Steigt ein.«
Aleander überquerte die Planke hocherhobenen Hauptes und folgte ihm mit einem leisen Lächeln des Triumphes. Cromwell sah es nicht, er war bereits in der Kajüte verschwunden, die mit Annehmlichkeiten wie einem Kohlebecken und gepolsterten Bänken an den Längsseiten ausgestattet war. Die Kajütenfenster waren verglast und hielten die roheste Kälte ab.
»Er hat das Mädchen also entführt«, begann der Minister nahtlos und ohne Aleander einen Platz anzubieten.
Das Boot wurde vom Land abgestoßen. Sein Schwanken zwang Aleander zu einer Balanceübung, die er mit starrer Miene meisterte.
»Er will sich ihre Gabe sichern! Ich sagte es Euch bereits, Lunetta von Löwenstein ist von unschätzbarem Wert für einen Staatspolitiker, der vorausschauend planen muss.«
Cromwell schnaubte. »Nicht mehr für mich. Was mich interessiert hat, weiß ich bereits.«
»Aber…«
»Vergesst die kleine Zauberin. Die Königin ist vernichtet. Sie hat heute Morgen ein totes Kind zur Welt gebracht. Einen Sohn und ein Monster! Mehr als achtzehn Stunden hat sie unter Qualen die Geburt zu unterdrücken versucht. Nun ist es vorbei.«
Er schwieg, seine Miene sprach nicht von Triumph. Ein Knall ertönte. Der Wind hatte die Segel ergriffen. Rauschend bewegte sich die Barke in die Flussmitte, die Mietboote lenkten beiseite, um ihr Platz zu machen.
Genug Zeit für Aleander, um sich zu fassen. »Eure Feindin ist besiegt, und doch scheint Ihr nicht zufrieden, Sire.«
Cromwell blickte kurz auf und musterte ihn kalt.
Aleander erwiderte seinen Blick von oben herab.
»Setzt Euch«, knurrte der Minister.
Aleander glitt auf eine Bank. »Ihr sagtet, sie habe ein Monster geboren?«
»Es war eine gallertartige Kreatur von etwa sechzehn Wochen. Ein Junge, das Genitale war erkennbar, aber dort, wo eine Nase hätte sitzen müssen, klaffte nichts als ein Loch, es besaß weder Augen noch Ohren. Es …«
»… war ein Hexenkind«, schlug Aleander vor.
»Schweigt«, herrschte Cromwell ihn an. »Ich kann dieses Wort nicht mehr hören. Der König ist ganz versessen darauf, seine Frau nun der Zauberei anzuklagen. Er kann sich kaum fassen beim Aufzählen der erdrückenden Beweise. Sein Hass blendet ihn.«
Draußen tauchten die Ruder ins Wasser und hoben sich wieder. Eine glatte Fahrt.
»Eine Hexenanklage behagt Euch offenbar nicht«, warf Aleander sanft ein.
»Anne ist eine bekannte Vertreterin des neuen Glaubens. Wir können uns eine solche Anschuldigung nicht erlauben, ohne Englands Reformation zu gefährden«, stieß der Minister wütend hervor. »Dieses Weib schafft nichts als Probleme, sogar mit ihrem Untergang.«
Aleander nickte. »Nun, dann sollten wir eine andere Idee entwickeln. Eine, die das rasche Auffassungsvermögen und die lebhafte Fantasie des Königs ebenso befriedigt und nicht weniger endgültig in ihren Folgen ist.«
»Es darf kein Willkürakt sein. In England tötet man nach Gesetzen.« Cromwells Augen suchten den Fluss. Die Themse strömte mit bleiernem Glanz vorüber, der Palast entschwand langsam ihren Blicken.
Am Ufer tauchte ein Reiter auf, sein Harnisch leuchtete. Er zügelte sein Pferd und nahm den Helm ab. Für einen kurzen Moment sah man das Leuchten roter Locken durch das Kajütenfenster. Aleander wollte von der Bank aufspringen. »Verdammt!«
Cromwells Worte zwangen ihn innezuhalten.
»Welche Anklage können wir erheben? Heinrich kann nicht damit fortfahren, nach Belieben seine Gattinnen auszutauschen, wenn es ihre einzige Sünde ist, ihm keine Söhne zu schenken.«
»Oh, es gibt so viele Sünden, sicher sind Eure heimlichen Papiere voll von Vergehen der Königin«, sagte Aleander zerstreut.
Cromwell lachte trocken. »Bei Gott, ihre scharfe Zunge lieferte viel Material. Sie scherzte mit ihren Höflingen
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