Das Geheimnis der toten Vögel
ich mir Sorgen gemacht. Ich habe ihn gefragt, ob zwischen ihnen etwas wäre, aber das hat er entschieden verneint. Mein Gott, nun ist sie tot! Und Florian ist weg …«
»Da muss kein Zusammenhang bestehen.« Maria legte vorsichtig ihre Hand auf Yrsa Westbergs Schulter. »Kann es sein, dass er verrreist ist und vergessen hat zu sagen, wohin?«
Yrsa Westberg schüttelte den Kopf, sodass der Pferdeschwanz hüpfte.
»Wissen Sie, wo er seinen Pass aufbewahrt?«
Yrsa Westberg nickte und stand lautlos auf. Nach einer Weile kam sie aus dem Schlafzimmer zurück. Ihr Gesicht wirkte zusammengekniffen, sie blinzelte heftig, um die Tränen zurückzuhalten.
»Sein Pass ist weg. Wenn er ins Ausland gefahren wäre, dann hätte er mir das gesagt.« Sie brach in Tränen aus. »Jetzt habe ich eine halbe Ewigkeit mit ihm zusammengelebt und gedacht, ich kenne ihn so gut wie mich selbst. Und dann ist es ganz anders.«
»Gibt es jemanden, den Sie bitten könnten herzukommen?«
»Florians Schwester. Großer Gott, was kann denn nur passiert sein? Sie glauben doch wohl nicht, dass er … Nein, nein … das kann nicht sein. Florian würde niemals jemandem körperlichen Schaden zufügen. Er ist nicht sonderlich stark und hat intensiven Sport und körperliches Training gehasst, er ist einfach nicht der Typ. Er pflegt immer zu witzeln, der Schweiß seien die Tränen der Muskeln.«
»Was meinst du?«, fragte Hartman, als sie wieder im Auto saßen.
»Ich habe eben noch Florian Westbergs Kalender mit den Angaben in Sandra Häggs Kalender verglichen. Die Daten, die Westberg mit einem ›X‹ markiert hat, stimmen in allen Fällen mit Sandras Kalender überein. Eine Liebesgeschichte, oder könnte es etwas anderes sein? Zeiten für die Massage vielleicht? Es gibt bei ihr einen Eintrag für den Abend, an dem sie ermordet wurde. Bei 24 Uhr steht ein ›F‹. Seltsame Uhrzeit für eine Massage.« Maria drehte die Scheibe herunter und ließ die Luft herein. Welch ein Sommer!
27
Yrsa Westberg sah die Polizisten in dem weißen Ford verschwinden. Einen letzten Schatten konnte sie noch wahrnehmen, als das Auto an den Ahornbäumen und der hohen Ligusterhecke der Nachbarn vorbeifuhr. Dann war es nicht mehr zu sehen. Die Hunde kamen zu ihr, legten ihre Nasen auf ihren Schoß und sahen sie mit sanften Augen an. Sie spürten instinktiv ihre Sorge und versuchten, sie zu trösten. Sie vergrub das Gesicht in Rex’ schwarzweißen Pelz und ließ die Tränen laufen. Spürte die Wärme und Hingabe, seinen stillen Trost, den Menschen nur so schlecht zu geben verstehen.
Schon bei ihrer Fahrt nach Skagen war die Angst wie eine böse Ahnung da gewesen. Es war etwas an Florians Art gewesen, sie eilig zum Abschied zu küssen. Sein Blick, der unermüdlich zur Armbanduhr gegangen war. Nachdem er ihr geholfen hatte, die Bilder in den VW-Bus zu packen, war noch ein wenig Zeit gewesen, ehe sie fahren musste. Vielleicht war es diese letzte halbe Stunde, die sie später stutzig gemacht hatte. Sowie Florian getan hatte, was von ihm erwartet wurde – die Bilder hinausgetragen und sie eilig und nachlässig neben den Mund geküsst, schon tief in Gedanken –, hatte er sich an den Computer gesetzt. Hatte sich eingeloggt, mit den Händen startbereit dagesessen und gewartet … dass sie abfuhr. Es war so deutlich, dass er sie von zu Hause weg wünschte. Sie hatte am Fenster gestanden und ihn beobachtet, den Mann, für den sie sich entschieden hatte.
Seinetwegen war sie aus dem Dorf an der finnischen Grenze weggegangen, in dem alle ihre Verwandten wohnten, wo sie ihre besten Freunde hatte, wo sie einfach Yrsa sein konnte, ohne etwas beweisen zu müssen. Wir bleiben in Kontakt, hatten sie einander versprochen. Wir hören voneinander! Aber es ist nicht dasselbe, sich einmal im Jahr zu sehen oder den Alltag miteinander zu teilen. Sie war so wahnsinnig verliebt gewesen, so jung und voller Erwartungen. War noch niemals einem Mann wie Florian begegnet – hatte noch nie so geliebt und sich so bestätigt gefühlt. Damals war die Wahl leicht gefallen. Dann war das Schwere gekommen: Florian wollte keine Kinder. Er konnte es sich einfach nicht vorstellen.
Yrsa sah ihr Gesicht im Flurspiegel und strich sich über den flachen Bauch. Schon bald würde es zu spät sein. In diesem Jahr wurde sie vierzig. Es war der größte Kompromiss ihres Lebens gewesen, und zu Anfang hatte sie gehofft, dass er seine Meinung ändern würde.
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