Das Geheimnis der toten Voegel
Tauben, die pro Stück fünftausend Kronen und mehr wert sind. Er hätte sie doch verkaufen oder weggeben können. Was hat er nur getan? Er ist auch nicht zum Auflasstermin gekommen, und das, obwohl er alle Chancen hatte, den Wettbewerb zu gewinnen. Da wundert man sich natürlich. Er hätte doch wenigstens anrufen können. Aber wahrscheinlich hat irgendjemand irgendeinen Scheiß geredet, und dann ist er eingeschnappt.«
»Bist du sicher, dass alle tot sind? Nicht nur die Tauben, die in der Zinkwanne an der Tür liegen?«, fragte Berit matt. Jetzt musste sie sich hinsetzen. Sie hatte das Gefühl, in Ohnmacht zu fallen. Ein hoher, klingelnder Ton schnitt ihr durch den Kopf, und der Klang von Petters Stimme kam und ging in Wellen. »Petter, komm rein, und bleib nicht da draußen stehen.«
»Jede einzelne Taube! Ich habe sie gezählt. Es war sogar eine zu viel. Manchmal wird man einfach nicht schlau aus ihm. Was ist denn mit ihm?«
»Hast du versucht, ihn auf dem Handy anzurufen?« Berit rieb sich die Augen und zurrte den Morgenmantel zurecht. Es war doch ärgerlich, dass sie hier unbekleidet herumrannte, wenn Leute kamen. »Ich hatte mich gerade etwas hingelegt. Fühlte mich ein wenig angeschlagen«, entschuldigte sie sich. »Ruben fühlte sich auch nicht gut, als ich gestern bei ihm war. Er war ins Bett gegangen. Ich musste die Tauben für ihn versorgen. Glaubst du, ich habe vielleicht etwas falsch gemacht? Ihnen das falsche Futter gegeben? Stell dir vor, ich habe irgendetwas Falsches angestellt. Was würden dann die Leute sagen!«
»Ich habe ihn sicher zwanzigmal auf seinem Handy angerufen. Vielleicht ist ihm etwas zugestoßen. Womöglich hat er sich etwas gebrochen. Oder stell dir vor, er hat sich das Leben genommen! Erst hat er alle Tauben umgebracht und dann sich selbst. Ist das so unwahrscheinlich? Ich hoffe ja sehr, dass ich mich täusche, aber wir sollten nach ihm sehen.«
»Ich weiß nicht, ob ich das kann. Es geht mir gar nicht gut. Es muss eine Grippe oder so etwas sein. Vielleicht war es aber auch das Morchelragout, das wir gegessen haben. Ruben hat auch davon gehabt. Du hast recht, wir müssen nachsehen, was mit ihm los ist.« Berit wankte wieder in den Flur hinaus und machte die Haustür auf. Das Tageslicht schnitt ihr in die Augen, und sie fühlte sich kraftlos und schwindelig. »Darf ich mich unterhaken, Petter? Ich hoffe, dass keiner es sieht. Aber es geht nicht anders, wenn ich es bis drüben schaffen soll.«
»Aber Berit, ich hätte nie gedacht, dass du das mal fragen würdest.« Petter gab sein berühmtes Lachen von sich und legte den Arm um sie. »Meine Liebe, man hat weiß Gott schon schlechtere Vorschläge zu hören bekommen.«
Sie pochten an die Küchentür, aber nichts geschah. Sie war verschlossen. Der Vordereingang mit der kleinen Veranda wurde nie benutzt, er war ebenfalls verschlossen. Berit wurde immer ängstlicher und machte sich Vorwürfe. Wenn sie Ruben Nilsson vergiftet hatte, dann würde sie nicht mit dieser Schande leben können. Nicht als Köchin.
»Wir werden einbrechen müssen«, sagte Petter Cederroth. »Die Frage ist nur, wo wir den geringsten Schaden anrichten. Ein Fenster muss dran glauben. Wir müssen eine Scheibe einschlagen.«
»Nein, das können wir doch nicht tun, oder? Wenn das jemand sieht?«
»Das ist mir scheißegal. Not kennt kein Gesetz. Wir nehmen eines der Kellerfenster, das ist am billigsten. Allerdings werde ich niemals durch das kleine Loch passen«, sagte er und legte die Hände auf seine imposante Wampe. »Obwohl, wenn du dir vorstellen könntest, du …«
»Auf keinen Fall!« Berit rang nach Atem. »Niemals!« Zwar war sie etwas weniger umfangreich als Cederroth, aber doch nicht viel. Und schon die Vorstellung, sich derart unmöglich zu machen, klemmte ihr die Luft ab.
»Dann muss es wohl eines der Küchenfenster sein.« Petter Cederroth war ein Mann der Tat. Berit hatte ihren Mund noch nicht ganz geschlossen, da hatte er schon seinen Holzschuh in die Hand genommen, das Küchenfenster neben der Treppe eingeschlagen und angefangen, die Scherben aus dem Rahmen zu pflücken.
»Ich sehe den Schlüssel, er steckt auf der Innenseite der Tür. Ich mache dir gleich auf«, sagte er und schwang sich mit einer Gewandtheit zum Fenster hinauf, die man ihm nicht zugetraut hätte.
»Sei vorsichtig, damit du dich nicht schneidest, wenn du auf die Scherben springst.«
»Au, verdammt.« Cederroth schwankte und trat neben seinen Schuh in eine Glasscherbe.
Weitere Kostenlose Bücher