Das Geheimnis der toten Voegel
Wasserhahn getrunken hatte, sah er ein, dass er es niemals schaffen würde, die Treppe zum Taubenschlag hinaufzusteigen und den Tieren Futter zu geben. Tatsache war, dass er es nicht einmal ins Bett zurück schaffte. Das letzte Stück kroch er auf allen vieren, während sich sein Brustkorb wie ein Blasebalg hob und senkte. Und dennoch war es, als würde er nicht genug Luft bekommen. Jeder Atemzug schmerzte, und die Muskeln taten weh.
Als er sich über die Bettkante zog, tat er es wie ein Ertrinkender, der die Reling des Bootes zu greifen bekommt und sich unter Aufbietung seiner letzten Kräfte hochzieht. Ruben musste Berit bitten, nach den Tauben zu sehen. Vielleicht würde er, wenn ein Wunder geschah und er gesund wurde, morgen an der Auflassung der Brieftauben teilnehmen können. Ruben beschloss, Cederroth nicht anzurufen, ehe er wirklich gezwungen wäre abzusagen. Er würde Berit anrufen, das würde er jetzt gleich tun. Er legte den Kopf aufs Kissen und glitt weg. Berit, er würde Berit anrufen. Bald. Erst ein wenig ausruhen und wieder zu sich kommen. Ein wenig die Augen schließen, erst ein klein wenig …
Als er erwachte, war es drei Uhr nachmittags. Ruben setzt sich mit einem Ruck auf und fiel dann wieder ins Kissen zurück. Der Kopf drohte ihm zu zerspringen, als er hustete, und es rasselte in seiner Brust. Berit. Er musste jetzt sofort anrufen. Jemand musste nach den Tauben sehen. Sein Arm kam ihm bleischwer vor, als er ihn hob, um an das Handy zu kommen. Es war eine große Erleichterung, dass sie gleich beim ersten Klingeln ranging. Natürlich würde sie den Tieren Wasser und Futter geben. Nicht sofort, aber etwas später am Abend. Wenn er nur sagte, was die Tiere brauchten. Nachbarn sollten sich helfen. Zum Glück hatte er den Schuppen nicht abgeschlossen und musste jetzt nicht aufstehen, um ihr den Schlüssel zu geben. Jetzt war alles geregelt, jetzt konnte er noch ein wenig schlafen. Loslassen und sich mit der Welle hinaustragen lassen.
Und sie kam ihm über das Meer entgegen, wie er es immer gehofft hatte. Angela, die Engelsgleiche. Sie formte eine Schale aus ihren Händen und füllte sie mit Wasser. »Trink.« Und er beugte sich vor, um aus ihren Händen zu trinken, aber als seine Lippen gerade die Wasseroberfläche erreicht hatten, zog sie die Hände weg. Sein Durst war unbeschreiblich, doch die Lösung des Rätsels, das sie ihm gestellt hatte, war die Bedingung, seinen Durst stillen zu dürfen, und als er zögerte, verschwand sie in den Wellen. Die Angst, sie wieder zu verlieren, ließ ihn verzweifeln. Das Meer war unendlich. Würde er sie niemals mehr treffen dürfen? Er sank herab und suchte auf dem Meeresgrund. Sein Mund war trocken, und er versuchte, von dem Wasser zu trinken, aber das war salzig und braun von verrottetem Tang. Angela! Er hätte sie niemals loslassen dürfen. Da spürte er ihre Hand an seiner Wange. Er hörte sie, vermochte aber nicht, die Augen zu öffnen, und konnte auch nicht alle Worte verstehen. Aber es war Angelas Stimme.
»Ich bin gekommen«, sagte sie. »Jetzt bin ich endlich gekommen. Bist du immer noch böse auf mich?« Er umfasste ihre Hände und zog sie an sich. Er sog ihren Duft ein. Er war genau wie damals, süß und voller Sommer.
»Du bist gekommen.« Und alles, was er hatte sagen und fragen wollen, von ihrer Krankheit und dem Mädchen, das Mikaela hieß, und von der Zeit, die vergangen war, wurde zu einem wortlosen Strom des Einverständnisses. »Ich bin durstig.« Als sie ihm das Glas reichte, trank er es bis auf den letzten Tropfen aus. Mit diesem Trank war alles vergeben und vergessen, und es gab nur noch die Gegenwart und ihre weiche Haut auf seinem nackten Arm.
Angela. Sie lief mit ausgebreiteten Armen über die Wiese, genau wie damals. Er kämpfte, um bei ihr bleiben zu können, aber die Träume führten ihn weiter, und plötzlich saß er auf Großvater Runes Knie, in der warmen guten Stille, in der alle Gedanken erlaubt waren und alles selbstverständlich war und nichts erklärt werden musste. »Ich habe Durst.« Und Angela stand wieder über ihn gebeugt, und ihr Gesicht war wie die Sonne, und er erwiderte ihr Lächeln. »Ich will nie mehr ohne dich sein.« Als er seine Hand hob, um ihre Wange zu streicheln, verwandelte sie sich vor seinen Augen, und ihr Gesicht wurde ausgewischt und nahm die graue Gestalt von Berit Hoas an.
»Was ist los mit dir, Ruben? Du siehst gar nicht gesund aus.«
»Ich habe auf dem Meeresgrund gelegen. Habe keine Luft
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