Das Geheimnis der toten Voegel
zunächst gedacht – bis eine Frau, die am Kiosk herumgehangen hatte, seinen Arm ergriffen und gefragt hatte: »Bist du hier, um eine Frau aus Skåne zu treffen?« Das konnte er nicht leugnen. »Hier ist sie!« Die Frau hatte ihn mit einem strahlenden Lächeln bedacht. Das musste ein Missverständnis sein! Das war doch nicht möglich! Die Frau, die sich »Kuschelmaus aus Skåne« nannte, war kräftig gebaut und hatte durchaus einen großen Busen und kupferrote Haare, aber das Gesicht stimmte überhaupt nicht mit dem Foto überein. Was für ein verdammter Reinfall.
Doch er hatte entschieden, Haltung zu bewahren. Die Rolle des sterbenden Countrysängers hatte er bis zur Perfektion eingeübt, und da konnte er sie genauso gut auch zu Ende spielen. »Du hast gesagt, dass du krank bist. Wie schlimm ist es denn um dich bestellt?«, hatte sie gefragt. Sie hatte etwas Mütterliches und Zärtliches, und als er sich von der ersten Enttäuschung erholt hatte, schien die Aussicht auf eine warme Umarmung doch besser als ein ausgekühlter Wohnwagen. »Die Krankheit? Mein Leiden? Das ist unheilbar. Die Krankheit hat sich im ganzen Körper ausgebreitet, aber meine Musik wird weiterleben.«
»Was ist es denn, hast du Krebs? Solltest du dann nicht im Krankenhaus liegen, wenn es so ernst ist?« Der sorgenvolle Blick und ihr sanftes Lächeln waren Lohn genug für seine Theatervorstellung. Es fühlte sich schön an, Gegenstand ihrer Fürsorge und Beunruhigung zu sein und so selbstverständlich eine Hauptrolle zu spielen. »Nein, der Arzt hat gemeint, es habe keinen Sinn, mich einzuweisen, wenn man es doch nicht heilen kann. Ich durfte raus. Nehme jeden Tag, wie er kommt, und danke Gott für die Tage, an denen ich es schaffe, aus dem Bett aufzustehen. Gestern war ich so schwach, dass die Beine mich nicht tragen wollten. Aber heute fühle ich mich besser.« Sie hatte ihn mit einer solchen Zärtlichkeit im Blick angeschaut, dass er richtig gerührt war. Und in genau diesem Augenblick hatte er beschlossen, dass sie schön war. Ja, sogar das. »Was ist es denn für eine Krankheit? Die meisten Sachen kann man doch behandeln.« Da sprach er es aus und bemühte sich, gleichzeitig sanft und ernst auszusehen, um zu zeigen, dass er seinen Schmerz mit Gleichmut trug: »Es ist nichts Ansteckendes, meine Liebe. Ich habe Strabismus.«
Die Kuschelmaus hatte die Hände vors Gesicht geschlagen, ihre Schultern hatten gezuckt, und er hatte den Arm um sie gelegt. »Nimm es nicht so schwer, ich kann das Leben doch immer noch genießen.« Und da erkannte er seinen Fehler. Die Frau lachte, dass sie keine Luft mehr bekam, sie lachte so, dass die Bank, auf der sie saßen, anfing zu schaukeln. Die Tränen liefen und färbten die Wangen mit Wimperntusche. »Du leidest also an Strabismus?«, prustete sie. »Weißt du überhaupt, was das ist?« Nein, er musste zugeben, dass ihm das nicht ganz klar sei. »Strabismus bedeutet Schielen, mein Herz. Ich bin Optikerin. Tut mir leid.«
Die Begegnung mit der Kuschelmaus aus Skåne war herzlich, aber kurz gewesen. Kein Mann der Welt kann einer Frau widerstehen, die laut lacht. Also hatte es Kaffee und Zimtschnecken gegeben und ein »Wir hören voneinander«. Obwohl er den Verdacht hatte, dass keiner von ihnen beiden jemals auf die Idee kommen würde, sich zu melden. Und kurz bevor er gehen wollte, stellte er doch noch die Frage, die ihm die ganze Zeit auf der Zunge gelegen hatte.
»Das auf dem Foto, das warst nicht du, oder?«
»Nein, das ist meine kleine Schwester. Es liegt doch auf der Hand, dass mich keiner treffen will, wenn ich ein Foto von mir selbst schicke. Da nimmt man doch lieber ein Dummchen in schöner Ausstattung. Außerdem gewinne ich sowieso immer um Längen. Wenn die Leute sich an Gunilla sattgesehen haben, dann wollen sie mich, um mit mir zu reden und mir ihr Herz auszuschütten, wie bei einer Mutter oder einer lieben Schwester. Im Internet kann ich eine kleine Weile so tun, als wäre ich jemand anders, und das Gefühl erleben, körperlich attraktiv zu sein. Ich sage dir, es gibt Zeiten, da hasse ich meine kleine Schwester. Weißt du, jedes Mal, wenn ich das hier mache, hoffe ich, dass es jemanden gibt, der ausgerechnet mich mag, verrückt, nicht? Also habe ich die Gelegenheit ergriffen, dich zu treffen. Ich hätte es nicht tun sollen.« Und dann hatte sie angefangen zu weinen, und die ganze Situation war so peinlich geworden, dass er gar nicht schnell genug wegkommen konnte.
Als Hans Moberg an diesem
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