Das Geheimnis der toten Voegel
infektiösen Müll in Berührung kommen und nicht die Zimmer der Patienten putzen müssen, weil sie finden, sie hätten nicht die richtigen Anweisungen und ausreichende Garantien bekommen, dass sie nicht angesteckt werden. Wir werden in Müll und Schmutz ertrinken, und es muss sich sofort jemand darum kümmern.«
»Ja, es ist wirklich übel. Ich habe den Müll gesehen. Es ist erschreckend«, sagte Morgan und rieb sich das geschwollene Kinn, wo ihn bei dem Aufruhr vor der Schule ein Stein getroffen hatte.
Åsa lehnte sich mit einem tiefen Seufzer im Stuhl zurück. »Als die Nachbarn von Malin Berg behaupteten, sie habe ihre Wohnung das ganze Wochenende über nicht verlassen, wollte ich das gerne glauben. Es war eine Erleichterung, sich auf anderes konzentrieren zu können, was mindestens genauso wichtig war, zum Beispiel Medikamente herbeizuschaffen. In dieser Situation müssten wir der ganzen Bevölkerung vorbeugend Medizin verabreichen können, und wenn wir eine Chance haben wollen, dann müssten wir am besten anfangen, das ganze Land zu impfen.«
»Der Gesundheitsminister hat schon im Februar, als der Bereitschaftsplan vorgestellt wurde, allen Impfungen versprochen«, warf Morgan ein.
»Zum Lachen, wenn es nicht so ernst wäre. So wie es jetzt aussieht, müssten wir die ganze Bevölkerung zweimal impfen, das sind achtzehn Millionen Dosen. Wo der Impfstoff herkommen soll, darüber hat er nichts gesagt.« Åsa Gahnström seufzte wieder und rieb sich die pochenden Schläfen. »Nein, das war das reinste Geschwätz, um die Leute zu beruhigen. Wenn es etwas gibt, was Verwirrung stiftet, dann sind es zweideutige Botschaften. In der Presse hieß es, dass es ein halbes bis ein Jahr dauern würde, einen sicheren Impfstoff zu entwickeln, und wenn es ihn gibt, dann heißt das noch lange nicht, dass wir ihn auch kaufen können. Die Länder, wo der Impfstoff produziert wird, werden mit größter Wahrscheinlichkeit erst ihre eigene Bevölkerung impfen wollen. Das ist wohl auch der Grund, warum wir keinen klaren Bescheid von ihnen bekommen. Und was machen wir jetzt? Wie begegnen wir der neuen Situation mit den katastrophal schlechten Mitteln, die uns zur Verfügung stehen?« Jonatan spürte, dass die Wut ihn fast die Kontrolle verlieren ließ.
»Es ist immer noch wichtig, Panik zu vermeiden«, sagte Åsa Gahnström. »Vor allem müssen wir erst einmal dafür sorgen, dass die Leute sich ruhig verhalten und die Anweisungen befolgen, die wir erteilen. Ich habe selbst des Nachts Albträume wegen dieser Sache, das können Sie mir glauben.«
»Es muss doch möglich sein, mehr Leute herzubekommen: pensionierte Sprechstundenhilfen oder arbeitslose Krankenschwestern und Pfleger«, meinte Morgan. »In einer solchen Situation müsste man die herbeordern können, nicht nur im Krieg oder bei anderen Katastrophen.« Die vordringliche Frage, abgesehen davon, dass man Medikamente und Personal beschaffen musste, war die der Betten.
»Das Sanatorium wird nicht ausreichen, wenn es eine Massenepidemie gibt. Wir brauchen funktionelle Räume, Sauerstoff, Betten. Ich weiß nicht, wie wir das mit den Krankschreibungen handhaben sollen. Die Leute haben Angst vor der Ansteckung und bleiben zu Hause. Die Leute, die jetzt arbeiten, werden das nicht ewig durchhalten.« Jonatan sah Schwester Agnetas müdes Gesicht vor sich und spürte einen Kloß im Hals. Er musste Zeit finden, um mit ihr zu reden. Wenn nur diese Besprechung vorbei war, dann durfte nichts mehr dazwischenkommen.
»Früher, als die Tuberkulose wütete, gingen die Leute zur Arbeit«, sagte Morgan. »Aber das waren andere Zeiten, da hatte man einen anderen Respekt vor Autoritäten, und es galt als edel, an andere zu denken und sich selbst zurückzustellen.«
»Man kriegte kein Geld und konnte seinen Unterhalt nicht bestreiten, wenn man nicht arbeiten ging. Aber es wäre wohl kaum politisch korrekt, mit diesem Argument zu kommen.« Åsa Gahnström gab ein kurzes Lachen von sich, das eher einem Hustenanfall glich. »Entweder ist man verhungert oder an Tbc gestorben. Heute Morgen habe ich mit einem Vertreter der Landesvereinigung der Bestatter gesprochen. Sie befürchten, dass es Schwierigkeiten geben wird, alle Toten zu versorgen. Es gibt nicht genügend Kühlräume, und die Mitarbeiter wissen nicht, wie sie sich vor einer Ansteckung schützen sollen. Wir müssen uns so schnell wie möglich darum kümmern. Die Angehörigen wissen nicht, ob man sie beerdigen darf oder einäschern muss. Wir
Weitere Kostenlose Bücher