Das Geheimnis der toten Voegel
kleinen Brüste, die er mit einer einzigen Hand hatte umfassen können. Er hatte sich neben sie gelegt und sich vorgestellt, dass sie zusammengehörten und dass sie sich gerade schlafen gelegt hätten, genau wie sie es immer um diese Zeit am Abend machten, wenn sie den Fernseher ausgeschaltet hatten. Wenn er nur nüchtern gewesen wäre, dann wären die Welten nicht ineinandergeflossen. Dann hätte er rechtzeitig aufhören können. Sie hatte sich zuerst hingelegt und auf ihn gewartet. Den Tisch für zwei gedeckt.
Die Wunschfrau, die Erträumte, die er in all diesen Frauen suchte. Die die ganze Zeit auf ihn gewartet hatte. Immer auf ihn warten würde. Wenn er nur den Wein bei Sandra Hägg nicht getrunken hätte, dann hätte er die Gefahr rechtzeitig bemerkt. Dann hätten sich die Welten nicht in Schichten übereinandergelegt, vermischt und zu einer unerträglichen Wirklichkeit vermengt – eine Wirklichkeit voller Gedächtnislücken. Sich nicht erinnern zu können, was passiert war, war das Schlimmste von allem. Das erzeugte eine unerträgliche Angst, die nur mit einem neuen Rausch betäubt werden konnte.
Plötzlich fiel ihm Cecilia mit dem Pferdegesicht ein. Zu Beginn des Sommers hatten sie sich im Gutekällaren getroffen. Sie hatten eine Weile hin- und hergemailt, ehe sie sich verabredet hatten, und das Treffen war für sie beide unterhaltsam gewesen. Sie hatten von einem Wiedersehen gesprochen, doch Wiedersehen wurden nur selten so gut wie das erste Mal. Cecilia war genau wie die anderen Frauen in vielerlei Hinsicht eine Enttäuschung gewesen. Schlank, hatte sie geschrieben. Schlank war eine grobe Untertreibung. Er hätte sich an ihren Hüftknochen schneiden können, und die Wangenknochen hatten wie zwei üble Bremsenstiche hervorgeragt. Aber die Tatsache, dass sie sich jetzt, wo er sie brauchte, ganz in der Nähe befand, gab der Sache mildernde Umstände. So gesehen war ein Wiedersehen keine dumme Idee. Außerdem hatte sie eine große Scheune und eine Doppelgarage auf ihrem Grundstück. Das passte ausgezeichnet.
Hans Moberg entschied sich, das Benzin bar zu bezahlen. Die Frau an der Kasse der Tankstelle in Lärbro schien die Suchmeldung im Radio nicht gehört zu haben. Sie sah ihn kaum an, verfolgte aber mit wachsamem Blick zwei wuselige Jungs, die zwischen den Autos herumschlichen und mit Wasserpistolen fuchtelten. Wahrscheinlich hatte sie Angst, dass jemand zurücksetzen könnte, während sie sich hinter einem Auto versteckten. Wenn er nur etwas mehr Zeit gehabt hätte, wäre die Frau an der Kasse nicht schlecht gewesen. Vielleicht ein andermal.
Nachdem er im Supermarkt Bier, Zigaretten und einen Blumenstrauß gekauft hatte, fuhr Hans Moberg nach Kappelshamn. Bei Storungs blieb er eine Weile am Wegesrand stehen. Vielleicht war es am besten, wenn er das Pferdegesicht erst einmal anrief und sicherstellte, dass sie auch keinen Besuch hatte. Niemand ging ran, und da kam ihm plötzlich der Gedanke, dass sie vielleicht auch im Urlaub war. Wahrscheinlich hatte sie davon gesprochen. Vielleicht sollte er ihre letzte Mail noch mal etwas genauer lesen.
Hans Moberg manövrierte den Wohnwagen in ein Gebüsch und wartete auf die Dunkelheit. Auf dem Herd machte er sich Erbsensuppe warm, die er direkt aus der Dose aß, dann nahm er ein kleines Bad in dem kalten, seichten Wasser auf der anderen Seite der Straße, ehe er den Kaffeekessel aufsetzte und die eingegangenen Mails checkte.
Die E-Mails der Kuschelmaus aus Skåne hatte er aufgehoben. In ihren Briefen schwang eine Wärme mit, die er gern wieder erleben würde. Und da – die E-Mail, die Sandra Hägg geschickt hatte. Er hätte schwören können, dass er die gelöscht hatte. Was hatte er nur dort in seinem Rausch verloren gehabt? Wenn er nur seine fünf Sinne beisammen gehabt hätte, dann hätte er ihre Möbel nicht zerschlagen. Wie konnte sein Hirn nur auf so eine kranke Idee kommen? Panik, vollkommen klar. Er hätte wegrennen sollen. Er hätte … Warum, warum bloß war er nach dem missglückten Treffen mit der Frau aus Skåne nicht nach Hause gegangen und hatte sich ins Bett gelegt? Jetzt war die Polizei hinter ihm her, und das war ziemlich unangenehm.
Im Schutz der Dunkelheit fuhr Hans Moberg den Wohnwagen und das Auto in die Scheune von Cecilia Granberg. Jetzt fühlte er sich etwas sicherer. Vielleicht würde er davonkommen, wenn er sich eine Weile versteckt hielt. Wenn die Vogelgrippe sich richtig ausbreitete, dann würde die Polizei kaum die Zeit finden,
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