Das Geheimnis der toten Voegel
Sie konnte keine passenden Worte finden.
Am anderen Ende des langen Tisches ließ sich ein Pärchen nieder. Die beiden küssten sich, und ihre Hände suchten einander unter dem Tisch. Ihre Wangen glühten, die Augen glänzten, und sie sahen nur einander. Jonatan musste lächeln. »Schon ganz schön lange her, seit ich so dasaß und …« Er legte seine andere Hand auf Marias, und sie zog ihre nicht weg. Er sah ihr ernst in die Augen. »Es hätte eine Erleichterung für mich sein können, wenn Nina gestorben wäre. Ich weiß, dass du findest, ich sollte das nicht sagen. Ich sollte das nicht fühlen. Aber das tue ich. Sie hat mir das Leben zur Hölle gemacht, und ich würde keine Minute länger bei ihr bleiben, wenn ich nicht Angst hätte, das alleinige Sorgerecht für Malte nicht zu bekommen.«
»Sie braucht Hilfe.«
»Sie will keine Hilfe. Ihrer Meinung nach hat sie keine Probleme. Es ist sozusagen mein Problem. Ich habe sie im Stich gelassen, deshalb muss sie sich sinnlos betrinken. Außerdem gibt es auf Gotland keine Klinik dafür. Die nächste ist Runnagården in Örebro. Ich habe versucht, mit ihr zu reden, aber sie weigert sich zuzuhören. Wenn sie zwangsweise eingewiesen würde, dann wäre das eine Tatsache, die mir im Sorgerechtsstreit einen Vorteil verschaffen würde. Sie würde nicht verstehen, dass ich ihr helfen will, und sie will mir keinen Trumpf in die Hand geben. Wir sind in einen Stellungskrieg geraten, in dem jeder Schachzug strategisch begründet ist. Wir verletzen einander wissentlich, obwohl das keiner von uns möchte. Ich weiß, das klingt krank, aber so ist es.«
»Inwiefern hast du sie im Stich gelassen?«
Jonatan seufzte tief, ließ Marias Hand los und lehnte sich zurück, als bräuchte er Distanz, um klar denken zu können.
»Ich habe sie betrogen. Vor ein paar Jahren, als wir mit der Infektionsklinik auf einer Fortbildung auf dem Festland waren. Ein einziges Mal ist es passiert. Nina und ich hatten über zwei Jahre lang keinen Sex gehabt. Ich kann nicht anders, aber es ekelt mich an, dass sie sich erst betrinken muss, um Lust zu haben. Dann will ich sie nicht, und so wird es nie etwas. Von einer Freundin, die es von einer anderen Freundin hatte, hat sie erfahren, dass ich sie betrogen habe. Ich war so feige zu behaupten, dass wir nur im Hotelzimmer gesessen und geredet hätten. Aber es war mehr als das – es war nicht vorhergesehen, nicht geplant. Wir waren beide ausgehungert. Das merkte man schon, als wir tanzten. Wir konnten gar nicht genug voneinander bekommen, und die anderen fingen schon an, ihre Kommentare abzugeben, also beschlossen wir, auf meinem Zimmer einen Drink zu nehmen, und dann … Ehrlich gesagt würde ich es ohne Zögern wieder tun. Das war es wert.«
»Seht ihr euch immer noch?« Maria musste das fragen, obwohl es sie eigentlich nichts anging. Überhaupt nichts. Und doch wollte sie es wissen. Es lag sozusagen in der Luft, das aufkeimende Gefühl, dass etwas passieren würde. Maria wischte den Gedanken beiseite. Er war schließlich verheiratet! Und sie sollte es ja wohl besser wissen, als sich von einem Mann täuschen zu lassen, der eben zugegeben hatte, dass er untreu gewesen war, weil seine Frau ihn nicht verstand. Intelligente Frauen fielen auf solche einfachen Finten nicht herein. »Triffst du dich immer noch mit der Frau?«
»Nein, wir haben gar keinen Kontakt mehr. Sie wollte nicht. Vorher war nichts zwischen uns, wir waren nur Arbeitskollegen, und hinterher war auch nichts. Es war nur damals, in dem Moment, und ich möchte dieses Erlebnis nicht missen. Findest du mich schlimm?«
»Nein.« Was sollte sie sonst sagen, wenn er sich so verletzlich machte? Das Leben war nicht immer so, wie man es sich wünschte. Nur selten fanden sich einfache Antworten auf schwierige Fragen, und wer hatte das Recht, einen anderen zu verurteilen, der sich nach Liebe sehnte und das nahm, was sich ihm bot?
»Wie ist es denn bei dir? Gibt es einen Mann in deinem Leben?« Er sah sie belustigt an, als er merkte, dass die Frage sie ein wenig genierte.
Maria nahm einen Schluck Bier und dachte nach. Es wäre so einfach zu sagen: Ja, er heißt Emil und ist zehn Jahre alt. »Es gab jemanden, aber es ist nichts daraus geworden. Er konnte nicht warten, und dann … dann passierte etwas. Er bat mich um eine vertrauliche Information über eine laufende Ermittlung, aber ich weigerte mich, und seither haben wir uns nicht mehr gesehen. Er hieß Per.«
»Aber du denkst an ihn, oder? Er
Weitere Kostenlose Bücher