Das Geheimnis der toten Voegel
seine innersten dynamischen Eindrücke zu statischen Worten zusammenzuschmelzen – das ist, als würde man sein eigenes abgeschlagenes Haupt auf einem Silbertablett servieren, wenn Sie verstehen, was ich meine.« Einer von Mutters Lieblingsausdrücken, die war verdammt literarisch drauf gewesen.
»Und bei welchem Verlag veröffentlichen Sie?«
»Warum eine so oberflächliche Frage? Das kann Sie doch kaum interessieren, oder? Sie sind eine Frau mit ganz anderen Tiefen und Qualitäten, so etwas erkenne ich.«
»Ach ja, was sehen Sie denn?« Sie beugte sich vor. Die Oberlippe zitterte ein wenig, nicht viel, aber er fand, sie sah aus wie ein Kaninchen, und konnte nicht umhin zu lächeln.
»Was ist denn daran so witzig?«, fragte sie, ohne den Blick von ihm zu wenden. Sie wirkte jetzt ein wenig mürrisch, er musste sich wirklich vorsehen. »Welche Qualitäten habe ich, was glauben Sie?«
»Sie sind zuverlässig und können ein Geheimnis bewahren. Hm, darf ich mal Ihre schönen Hände anschauen? Sie haben keine Schwielen. Sie sind weich. Man sagt, die Augen seien der Spiegel der Seele, aber das ist so verdammt banal. Ich sage immer, die Hände sind der Spiegel der Seele. Keine Ringe – eine Frau mit vielen Möglichkeiten.« Er strich über ihren Handrücken und drehte ihre Handfläche nach oben. »Die Lebenslinie ist stark. Aber die Linie für Liebe und Lust ist an mehreren Stellen unterbrochen.« Er verfolgte sie mit dem Zeigefinger und ahnte ein Schaudern, das sich durch ihren Körper seinen Weg bahnte. Nicht zu schnell zur Sache gehen. Sie brauchte Zeit, sich an die Berührung zu gewöhnen und nach mehr zu verlangen.
»Sind Ihre Werke übersetzt worden?«, fragte sie und zog nach einer etwas bedrückenden Stille ihre Hand zurück.
»Aber natürlich, was für eine Frage!«
»Und Sie schreiben unter Ihrem richtigen Namen?«, fuhr sie fort. Ahnte er da nicht ein Lächeln?
»Unter einem Pseudo … na, Sie wissen schon. Man braucht schließlich ein Privatleben.«
»Und wie nennen Sie sich?«
»Das würde ich lieber für mich behalten. Als ich im Frühling eine Wohnung am Strandvägen in Stockholm gemietet habe, habe ich nur zufällig, sozusagen im Vorübergehen, meinen Namen genannt, und die Sache war gelaufen. Das Gerücht verbreitete sich, und ich konnte nicht mehr dort wohnen bleiben. Habe drei Monate Ruhe zum Schreiben verloren, von der Miete ganz zu schweigen. Nein – ich möchte hier wirklich inkognito sein. So sieht meine Absprache mit Cecilia Granberg aus, und sie geht auch nicht ganz ohne Vorteile aus diesem Geschäft. Sagen Sie, Sie kommen nicht zufällig am Spirituosenhandel vorbei? Ich meine nur, in dem Fall würde ich ganz gern eine kleine Bestellung mit aufgeben …«
Sie schüttelte den Kopf.
»Ich denke, man kann in einigen Kiosken was bestellen, aber ich weiß es nicht. Ich habe noch nie Schnaps gekauft.«
Als die Nachbarin mit der letzten Pelargonie verschwunden war, empfand Hans Moberg zunächst Erleichterung, dann kam ein Gefühl des Unmuts. Ob sie was geahnt hatte? Nein, dann hätte sie sich nicht auf die Bettkante gesetzt. Aber was, wenn sie mit anderen Nachbarn sprach, die die Suchmeldung gehört hatten und jetzt anfingen, eins und eins zusammenzuzählen – wohin sollte er dann gehen? Hier gab es wenigstens Essen und Strom und ein anständiges Badezimmer. Er musste sich etwas einfallen lassen. Vielleicht war es am besten, sich so schnell wie möglich mit Cecilias unansehnlichem Saab davonzumachen. Aber wohin? Wenn er Leute traf, bestand das Risiko, dass er von diesem ganzen Vogelgrippenelend angesteckt wurde. Wenn er nur in eine Ambulanz marschierte und darum bat, Medizin zu bekommen, dann würden sie Angaben zur Person verlangen, was mit einem einfachen Fahrschein in den Knast gleichbedeutend war. Und ohne Medizin keinen Schein, mit dem er sich von der Insel entfernen konnte. Das hatte sich wirklich ungünstig entwickelt.
An allem war Sandra Hägg schuld. Wenn sie ihn nur in Frieden gelassen hätte, wenn sie ihn niemals gebeten hätte zu kommen, dann wäre das nicht passiert. Sie hatte mit ihm über einen Impfstoff gegen die Vogelgrippe sprechen wollen. Vielleicht hatte er etwas dick aufgetragen und hatte Dinge behauptet, die nicht voll und ganz mit Fakten belegbar waren. Die aber, wenn die Dinge sich vorteilhaft entwickelten, in einer nicht allzu fernen Zukunft durch genug Fakten würden belegt werden können. Ungefähr so hatte er argumentiert. Er hatte den Eindruck, als ob
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