Das Geheimnis der Totenkiste
wußte tatsächlich nichts mehr von einem hochgewachsenen Herrn in Schwarz mit einer Kiste, der sich bei ihr einquartiert hatte. Einen Augenblick fragte Eli sich, weshalb sie noch am Leben war, wieso das Blut noch durch ihre Adern floß. Doch da erinnerte er sich des Gingeruchs. Ihr alkoholverseuchtes Blut wäre für den Vampir viel zu gefährlich gewesen.
»Das ist das Zimmer«, erklärte er mit Überzeugung. Er drückte die Klinke herunter. »Kommt mit herein. Es dürfte keine Schwierigkeiten geben.«
Aber das Zimmer war leer. Keine schwarze Kiste befand sich darin. Und doch war sie da gewesen. Vojislav hatte sich hier aufgehalten. Die gräßliche Ausstrahlung des Vampirs klebte geradezu noch an den Vorhängen, dem schäbigen Teppich, dem Bettzeug.
Kapitän Macneil rümpfte die Nase. »Ein scheußlicher Gestank«, kommentierte er, dessen Geruchsinn alles andere als ausgeprägt war.
»Er ist zweifellos fort«, brummte Eli. »Aber noch
nicht« lange. Doch wie konnte er während des Tages verschwinden? Ach so, natürlich – in der Kiste. Nun, hier können wir jedenfalls nichts mehr tun.«
Macneil blickte sich enttäuscht um. »Was jetzt?« fragte er.
»Es müßte noch einen Mann im Haus geben. Vielleicht bekommen wir aus ihm mehr heraus.«
Doch das sollte eine unerfüllte Hoffnung bleiben. Mr. Huggett saß zusammengekauert in einem Sessel vor dem Ofen. Er schlief schnarchend seinen Ginrausch aus.
»Es gibt eigentlich nur eine Möglichkeit«, murmelte Eli, als sie das Haus verlassen hatten. »Er muß nach einem Träger oder einer Droschke geschickt haben. Das letztere bezweifle ich allerdings. Etwas steht jedenfalls fest. Er kann die Kiste während des Tages nicht selbst weggetragen haben.«
»Was ist mit den beiden?« fragte Macneil und deutete auf das Haus Nummer sieben zurück.
»Die Trance, in die er sie versetzt hat, wird sich mit der Zeit geben. Ihr Blut hat er sicher nicht genommen, dazu sind sie viel zu voll mit Gin.«
Die nächste Stunde war recht frustrierend, denn gerade an diesem Nachmittag waren die Träger in der Hoggesty Street besonders geschäftig gewesen. Sie hatten Pakete und Kisten von den verschiedensten Adressen abgeholt und zu anderen gebracht.
An Straßenjungen fehlte es nicht, die sich nur zu gern ein paar Pence verdienen wollten. Leider waren ihre Informationen recht ungenau und widersprüchlich. Sie berichteten Eli, was er zu hören wünschte.
Kapitän Macneil gelang es schließlich, einige der ohnehin in ihrem Sold stehenden Männer zu mobilisieren. Er beauftragte sie, den Dienstmann zu finden, der von der Hoggesty Street 7 eine große schwarze Kiste abgeholt hatte.
Aber all das brauchte seine Zeit, und Eli bemerkte entsetzt, daß der Abend immer näher rückte – die Zeit nach Sonnenuntergang, wenn der Vampir wieder über seine vollen Kräfte verfügen würde.
Mit Einbruch der Dunkelheit begann Ebenezer Cudlipp unruhig zu werden. Er hatte den Tag über nicht geschlafen, denn das war zu ungewohnt für seinen Körper und die lebenslange Gepflogenheit des Sargmachers. Aber er hatte still in seinem verdunkelten Schlafzimmer gelegen und über die Dunkelheit, die freundliche, schützende Dunkelheit nachgedacht.
Und auch um Blut hatten seine Gedanken sich gedreht – wie es schmecken mußte, frisch aus einer warmen Kehle.
Er gratulierte sich, wie klug er gewesen war, als die Polizei an seiner Tür geklopft hatte. Er hatte sich nicht gerührt, und schließlich hatten sie es aufgegeben und waren wieder abgezogen.
Ja, er war wirklich klug, versicherte er sich. Mit den Bullen, die überall ihre Nase hineinsteckten, konnte er es noch jederzeit aufnehmen.
Die Sonne war nun untergegangen. Das grelle Licht des Tages erlosch und machte der Dunkelheit, der herrlichen Finsternis Platz, die so voller sanfter junger Kehlen war, die bloß auf seinen Biß warteten.
Er wußte, wohin er gehen mußte, denn das Waisenhaus war nur zwei Straßen entfernt, das Waisenhaus mit dem zarten nachgiebigen Fleisch, das sein werden würde, wenn die Jungen und Mädchen aus dem Hauptgebäude hinausliefen zu den Toiletten, die sich außerhalb befanden.
Er war noch nie eine Mauer hochgeklettert, aber er wußte instinktiv, wie er es machen mußte, wo er auf den ersten, der herauskam, lauern konnte.
Es war ihm, als hungere er schon seit endloser Zeit.
Und mit keinem Gedanken beschäftigte er sich mit den Särgen, für deren Anfertigung er einen Auftrag hatte.
16.
Einer von Elis Suchtrupp kam die Straße
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