Das Geheimnis der versteinerten Traeume

Kessel. »Deine Apparatenummer steht hier im Display. Wenn Frau Eberle sie gesehen hätte, während ich im Büro sitze …«
    »Ich glaube, ich weiß jetzt, wie wir den großen Zampano in Zugzwang setzen können«, unterbrach Leo das Gezeter des Lehrers.
    »Was?«, hallte es verständnislos aus dem Hörer.
    »Roberto Zampano«, sagte Leo und betonte dabei besonders die Anfangsbuchstaben.
    »Ach so! Kann das nicht bis später warten? Ich weiß nicht, wo mir der Kopf steht. Hier rufen pausenlos Eltern an, die von der Medienkampagne gegen YourDream beunruhigt sind und ihre Kinder von der Schule nehmen wollen. Um vier schicke ich die Sekretärinnen nach Hause …«
    »Wenn es danach ginge, sollten wir bis zur Nachtruhe warten und hätten einen Tag verschenkt. Ich muss jetzt mit Ihnen reden, Herr Okumus. Was ich vorhabe ist etwas … schwierig. Eigentlich
sogar unmöglich. Jedenfalls habe ich das bis vor Kurzem geglaubt.«
    »Also schön. Ich komme. Aber bitte, sei still. Und rufe nie wieder hier an, hörst du?«
     
    Die Abendsonne schien Osmund Okumus direkt ins Gesicht. Es sah aus, als habe er eine Erleuchtung. »Das ist Wahnsinn!«
    »Ich weiß«, antwortete Leo.
    »Vorübergehend wird Refi Zuls Kraft dadurch zunehmen.«
    »Die Sache wird ihn so in Atem halten, dass ihm das nichts nützt. Hoffe ich jedenfalls.«
    »Außerdem könnte es Menschenleben kosten. Wahrscheinlich wird es Menschenleben kosten.«
    »Und was passiert, wenn der Ringkontinent von Illúsion demnächst aufbricht?«
    »Das weißt du so gut wie sich. Es wäre ein globaler Super-GAU. Im schlimmsten Fall würden auf unserem Planeten nur noch Bakterien überleben.«
    Leo nickte. »Als ich eben auf Sie gewartet habe, ist mir der Traum, mit dem Mark mein Hirn getoastet hat, durch den Kopf gegangen. Da saß ich in einem Flugzeug neben einem mumifizierten Copiloten und versuchte ebenfalls eine Katastrophe zu verhindern. Kurz bevor Sie reinkamen, fragte ich mich, was ein Pilot täte, wenn an seinem Jumbojet sämtliche Triebwerke brennen. Sagt er: ›Hey, Mann, bei einer Notlandung könnten einige Passagiere draufgehen, also warte ich, bis die Maschine von alleine runterfällt.‹?«
    »Ein guter Captain würde die Landung zumindest versuchen, selbst wenn er befürchten müsste, dass niemand überlebt.«
    »Das denke ich auch. Meine Mutter – sie ist Umweltschützerin – sagte oft zu mir: ›Behandle unsere Erde pfleglich, Leo.
Sie ist ein Raumschiff und wir sind die Besatzung.‹ Ich fand das ziemlich nervig. Orla hat mir den Kopf zurechtgerückt. Jetzt denke ich, die Raumfähre Terra stürzt gerade ab und mit meinem Plan könnten wir sie retten.«
    »Wahnsinn bleibt es trotzdem.«
    »Die Frage ist, ob es funktioniert«, sagte Leo. »Sie können noch so oft sagen, was ich für ein Megatraumwandler bin, ich fürchte, mir fehlt die nötige Power, um so etwas Großes zu formen. Selbst mit Orlas Pastillen, die jetzt Huber hat …«
    »Vielleicht brauchen wir die gar nicht«, unterbrach ihn der Lehrer. »Das Schlafmittel verstärkt deine Gabe ja ohnehin nicht. Es bringt dich nur schneller in die Luzide. Man müsste deine Kräfte vervielfachen, um den Plan zu verwirklichen.«
    »Genau das glaube ich auch. Haben Sie eine Idee?«
    »Und ob ich die habe! Wir nehmen die DreamCaps.«
    »Was?«, schnappte Leo. »Wollen Sie mein Gehirn jetzt komplett einäschern?«
    »Unsinn. Hättest du ein paar mehr Unterrichtsstunden bei mir gehabt, wüsstest du vermutlich, woran ich denke. Unsere Schlafmützen, die wir hier verwenden, sind Labormodelle. Man kann damit nicht nur Träume stimulieren, sondern sie auch extrahieren.«
    »Muss ich das verstehen?«
    »Als Schüler der Traumakademie eigentlich schon«, brummte Okumus mürrisch. Er holte tief Luft. »Es geht darum: Wenn Traumschmiede Designerträume entwerfen, dann werden diese, vereinfacht ausgedrückt, aus ihrem Gehirn eingescannt. Die DreamCap funktioniert in diesem Fall wie ein Funk empfänger. Wird der Traum nach dem Download in den Kopf eines Kunden übertragen, arbeitet die Kappe lediglich als Sender. Ich könnte unsere Labormützen so einstellen, dass sie deinen Klartraum
aufzeichnen und in einem kontrollierten Rhythmus wieder in dein Gehirn zurückspielen.«
    »Und was soll das bringen?«
    »Was passiert, wenn du zwei Steine ins Wasser wirfst und sich deren Wellen überlagern?«
    »Sie werden aufaddiert, sie verstärken sich …« Leo pfiff durch die Zähne. »Jetzt verstehe ich! Meine Kräfte würden