Das Geheimnis der versteinerten Traeume
Tätowierungen zu enthüllen. Nachdem alle sechs ihre Halsbänder abgenommen hatten, betrat einer nach dem anderen die Druse. Ihre Vogel-Augen zeigten ihm jeden Winkel des Raums, wenn auch weniger klar als sonst – die Kristalle störten den freien Fluss der Traumenergie. Weder in der Kammer noch davor entdeckte er irgendwelche Fang- oder Schussvorrichtungen. Lediglich Staub und ein paar Spinnweben waren zu sehen.
Der König ruckte am Strick, damit Benno mit ihm vor den Eingang trat. Durs Huber folgte ihnen freiwillig. Inzwischen hatte er klammheimlich seine Schlafpastille geschluckt. »Alles in Ordnung?«, fragte Zul den Hauptmann der Leibgarde.
»Nichts Verdächtiges zu finden, Majestät«, antwortete der.
»Dann stellt euch beiderseits des Tores auf. Und haltet eure Waffen bereit. Ich will keine unliebsamen Überraschungen erleben.«
Die Wächter gehorchten.
»Nicht länger möcht’ ich säumen und mich nach Hause träumen«, murmelte der König den erstbesten Schlüsselreim, der ihm in den Sinn kam. Die Kristallwände der Druse begannen zu funkeln.
»Klingt wie der Märchenonkel im Kindergarten«, spottete der junge Leonidas von der anderen Seite des Eingangs.
»Halt endlich dein freches Maul!«, brauste Zul auf. Eine glühend heiße Stricknadel schien sich in sein ohnehin schon zermartertes Gehirn zu bohren. Er ächzte vor Schmerzen. Das Schwindelgefühl drohte ihn umzuwerfen. Rasch stützte er sich
mit der Dolchhand an der Felswand ab und blitzte wütend den Bengel an. Er war es leid, sich von ihm beleidigen zu lassen.
Mit der linken Hand gab er hinter dem Rücken Durs Huber das verabredete Zeichen. Dabei fiel Zul in Bennos Augen etwas auf, das ihm nicht gefiel. War dieses Aufleuchten Hoffnung? Oder nur Hass? Der Junge wich seinem Blick aus und sah zum Freund auf der anderen Seite des Druseneingangs hinüber. Hatte der Dickwanst den geheimen Wink bemerkt?
Dem König fehlte die Zeit, der Sache weiter nachzugehen. Er spürte, wie sein Schlaf unter den ständigen Schmerzen flacher wurde. Das Traumtor hatte sich zwar geöffnet, doch es sprudelte kein Wasser. Nur in der Luzide konnte er es freibekommen.
Mit aller ihm zu Gebote stehenden Macht versetzte er die ihn durchströmende Energie in Rotation. Dann trieb er sie wie einen Bohrkopf gegen das unsichtbare Hindernis. Bereits nach wenigen Augenblicken spürte er die Wirkung.
»Das Erdreich in Illúsion gibt nach«, sagte Leo zu seinem Lehrer.
»So schnell?«, wunderte sich der.
Auch Zul erstaunte der rasche Erfolg seiner Bemühungen. Er wechselte einen kurzen Blick mit Durs. Der Wächter von Salem nickte kaum merklich. Sein Klartraum hatte also begonnen. Guter Mann!
Der Alte stöhnte unvermittelt auf, sackte wie ein nasser Mehlsack in sich zusammen und blieb auf dem Rücken liegen.
»Herr Huber!«, rief Benno erschrocken. Er ging neben dem Torwächter auf die Knie, klopfte ihn mit den Händen auf die Brust und griff ihm unter die Jacke, wohl um seinen Herzschlag zu fühlen. »Tut es da weh? Kriegen Sie einen Infarkt? Sagen Sie doch was!«
»Was soll der Unsinn? Du bist kein Arzt. Lass ihn in Frieden«,
blaffte Zul den Rotschopf an. »Durs ist nicht mehr der Jüngste. Er war schon vorher angeschlagen und verträgt den Druck der Traumenergie nicht. Sobald das Tor offen ist, wird er wieder zu sich kommen.«
Der Knabe richtete sich murrend auf und nahm Abstand zu dem Schläfer.
Es war nicht zu übersehen, dass Okumus bei dem theatralischen Ohnmachtsanfall des Hausmeisters Verdacht geschöpft hatte. Der junge Leonidas indes beobachtete wie gebannt seinen Freund. Sollen sie, dachte Zul. So entgeht ihnen, dass meine Luzide endet.
Es kostete ihn alle Beherrschung, nicht laut aufzuschreien, als beim Erwachen der Schmerz mit voller Gewalt über ihn hereinbrach. Er stützte sich schwer gegen die Wand und schnaufte vernehmlich. Der Oberlehrer und sein Adept sahen ihn an. Beiden stand der Argwohn ins Gesicht geschrieben. Ja, grübelt nur, was ich im Schilde führe . Wenn Durs eure schlafenden Körper findet, wird es zu spät für euch sein.
Benno zitterte vor Angst. Seine Hand umklammerte die Dose mit den Schlafpastillen. In München hatte sich Huber gegenüber Zul damit gebrüstet, sie Leo abgenommen zu haben. Als der klarträumende Hausmeister eben umgekippt war, hatte Benno ihm den Behälter heimlich aus der Brusttasche seines Jacketts gezogen. Seitdem beobachtete Leo ihn mit Argusaugen. Hatte er etwas bemerkt? Zumindest konnte ihm nicht entgangen
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