Das Geheimnis der versteinerten Traeume
niemand daran.
Dann brach die Hölle los. So jedenfalls kam es Zul vor. Um ihn herum flogen Türen auf. Bewaffnete Kämpfer in Rüstungen liefen in den Hof.
»Bildet einen Ring!«, befahl der König.
Seine Wächter gehorchten.
Die Ritter gingen sofort zum Angriff über. Streitäxte und Hellebardenklingen klirrten aufeinander. Einer der Gegner verlor seinen Kopf, der Rest seiner Rüstung kämpfte unverdrossen weiter. Einmal mehr staunte Refi Zul über den Einfallsreichtum der jungen Traumschmiede. Sie hatten hohle Blechkameraden gegen ihn in die Schlacht geschickt. Und es kam noch schlimmer.
Unvermittelt griff der Gartenschlauch an. Er hatte sich verwandelt, in eine dünne, etwa fünfzig Meter lange Schlange. Das riesige Gummireptil wand sich um die Füße der Leibwächter. Wer von ihnen zu Fall kam, wurde von Spaten, Mistgabeln und Vertikutierharken angegriffen, die wie Lenkraketen durch den Innenhof schossen. Im Kreis der Verteidiger klafften immer größere Lücken.
»Tut doch etwas!«, rief Durs Huber.
»Das brauchst du mir nicht zu erklären«, knurrte Zul. Die Kopfschmerzen hatten ihn ungnädig gemacht. »Ich werde diesen Oberlehrer mit seinen eigenen Waffen schlagen.«
»Nein!« , keuchte Okumus. Sein Traum-Ich und das seines begabtesten Schülers verfolgten durch die Fenster im Erdgeschoss den verzweifelten Kampf der Hyänenschweine. Mit jeder Minute gesellten sich weitere Traumschmiede zu den beiden, um die entscheidende Phase der Schlacht aus der Nähe mitzuerleben. Ab und zu hatte Leo einen Blick auf Durs Huber erhaschen können. Die meiste Zeit verdeckte der König den Hausmeister
und noch einen weiteren Menschen mit seiner hohen Gestalt. Der Unbekannte war im Ring der Leibwächter nur vage auszumachen.
Leo war nicht entgangen, was Okumus einen solchen Schrecken eingejagt hatte. Rot glühende Staubkörnchen umwirbelten die Wände des Korridors. Es dauerte einen Moment, bis er die Natur dieser stiebenden Funken erkannte. Dasselbe Phänomen hatte er bei den sterbenden Hyänenschweinen beobachtet. Es waren Entladungen von Traumenergie, die er da sah.
»Er ahmt meinen Trick nach«, ächzte Okumus. »Zul will das Schloss versanden und uns darunter begraben. Hilf mir!«
»Was soll ich tun?«
»Wir müssen mit unserer Kraft dagegenhalten. Was er umformt, verwandeln wie gleich wieder in festen Stein.«
Leo ließ seine Traumfühler wie ein Spinnennetz im ganzen Schloss ausschwärmen. Nie zuvor hatte er sich im Schlaf so verausgabt. Tief unter der Erde biss er die Zähne zusammen. Er meinte die Macht des Königs körperlich zu spüren. Sie drang in das alte Gemäuer ein wie Wasser in porösen Fels. Sobald sich irgendwo Steine in Sand verwandelten oder es an einer Mauer zu rieseln begann, kehrten Leo und Okumus den Prozess wieder um und gaben ihr die alte Festigkeit zurück. Es war ein ständiges Hin und Her wie beim Armdrücken zweier ebenbürtiger Gegner.
Während sich das Ringen um die Oberhand qualvoll in die Länge zog, kämpften im Hof Zuls Leibwächter weiter gegen Ritterrüstungen, Heugabeln und die mittlerweile in mehrere Teile zerhackte Gummischlange. Ihre Reihen hatten sich bis auf weniger als zehn Krieger gelichtet. Allmählich versiegten die Kaskaden aus Traumenergie, die der König über das alte Gemäuer ausschüttete.
»Gleich haben wir sie«, ächzte Leo.
»Sei dir da nicht zu sicher«, erwiderte Okumus gepresst.
Unvermittelt hallte Zuls herrische Stimme durch den Hof. »Leo Leonidas!«
Sämtliche Kämpfer im Hof hielten wie erstarrt inne.
Der Gerufene bekam eine Gänsehaut und flüsterte: »Was hat das zu bedeuten?«
»Vielleicht will er einen Waffenstillstand aushandeln«, antwortete Okumus wie ein echter Generalfeldmarschall. »Wir akzeptieren nichts außer seiner bedingungslosen Kapitulation.«
Erneut rief Refi Zul den Namen des jungen Traumwandlers. »Ich weiß, dass du mich beobachtest. Sieh her, ich habe jemanden für dich mitgebracht.« Er griff hinter sich und zerrte Benno an einem Strick nach vorne, den man ihm um den Hals gebunden hatte. »Es ist Kowalski. Dein Freund. Ich habe ihn aus dem Sand der Brauerei gerettet. Du kannst darüber entscheiden, ob er weiterleben oder auf der Stelle sterben wird.«
Das straff gespannte Seil hinderte Benno daran, sich gerade aufzurichten. Er war in sichtlich schlechter Verfassung. Sein schmutziges Gesicht glänzte von Schweiß, Rotz lief ihm aus der Nase und ein langer Speichelfaden hing ihm von der geschwollenen
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