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Das Geheimnis der versteinerten Traeume

Das Geheimnis der versteinerten Traeume

Titel: Das Geheimnis der versteinerten Traeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Jahren war er weise, gerecht und mitfühlend wie die anderen neunundsechzig Hüter.«
    »Und wie änderte sich das?«
    »Weiß der Himmel, wann genau das Böse von ihm Besitz ergriff. Onkel Dalmud erzählte mir, dass eines Tages eine Katastrophe das Reich bedrohte. Timaios erkannte die Warnzeichen und prophezeite, dass Sonne und Mond ihr Antlitz verhüllen und eine Flut alles Leben vernichten werde …«
    »Du meinst, eine Sonnen- und eine Mondfinsternis zur selben Zeit«, fiel Leo ihr erneut ins Wort und schüttelte entschieden den Kopf. »Astronomie ist mein Hobby, Orla. Du kannst mir glauben, dass so was unmöglich ist. Die Sonne verfinstert sich aus unserer Perspektive tagsüber, weil sich der Mond davorschiebt. Und der wird nachts verdunkelt, wenn der Erdschatten auf ihn fällt. Beide Arten einer Eklipse können somit nie synchron auftreten.«
    »Hat Herr Schlaumeier schon mal daran gedacht, dass ein anderer großer Himmelskörper den Mond oder die Sonne verdeckt haben könnte?«
    »Du meinst, ein Komet oder Asteroid? Genau zum Zeitpunkt einer totalen Finsternis?«

    Sie nickte. »Ist das auch unmöglich?«
    Er verzog das Gesicht. »Zumindest höchst unwahrscheinlich.«
    »Aber denkbar?«
    »Ja«, knirschte er.
    »Darf ich dann fortfahren?«
    »Entschuldige. Du wolltest erzählen, wie die dunkle Seite der Macht vom Oberfiesling Besitz ergriffen hat.«
    »Wir sind hier nicht bei Star Wars , Leo.«
    »Schon gut. Was hat Timaios also getan?«
    »Er versprach den Wächtern, wenigstens sie zu retten, indem er sie in steinerne Riesen verwandle. Niemand wisse, wie lange die Überschwemmung andauern werde. Daher habe er sich etwas Raffiniertes ausgedacht, um sie nicht zu früh erwachen zu lassen. Der Bann werde sich lösen, sobald die Gestirne über den siebzig Schläfern wieder die gleiche Stellung einnähmen.«
    »Du meinst, die Doppelfinsternis?«
    »Ja. Beim ersten Sonnenstrahl nach dieser Konstellation, so sicherte er ihnen zu, würden sich alle Versteinerten in Menschen zurückverwandeln.«
    »Ich nehme an, er hat sie ausgetrickst.«
    »Auf die gemeinste Art und Weise. Sich selbst stellte er im äußersten Osten auf einen hohen Vulkangipfel, damit an dem unbekannten Tag die Sonne zuerst ihn treffe. Viele Jahrhunderte lang standen die Siebzig reglos da. Nachdem die Flut sich zurückgezogen hatte, besiedelten Insulaner aus anderen Gegenden das Herzland. Sie hielten die steinernen Kolosse für Götter und fertigten Kopien an, die sie rings um die ganze Insel aufstellten und anbeteten. Vor ungefähr tausendvierhundert Jahren kam dann der von Timaios vorhergesehene Tag. Im Morgengrauen verfinsterten sich beide Himmelslichter. Als der Schatten sich von der Sonne zurückzog, verwandelte sie ihn wieder in einen
Mann aus Fleisch und Blut. Sofort erneuerte er den Bann für die neunundsechzig Mitwächter. Sie sind seitdem lebendig gefangen in riesigen Körpern aus Stein. Von dieser Stunde an nannte er sich Refi Zul, der ›Erleuchtete‹.«
    »Und ist unsterblich?«
    »Nein. Er altert nur so langsam wie der Fels, aus dem er einst bestand. So konnte er geduldig seine Ränke schmieden und die neuen Bewohner der Inseln unterjochen. Zuerst unterwanderte er den Illúsischen Kongress …«
    »Was soll das sein?«
    »Eine Volksversammlung. Die Illúsier gründeten sie als Weiterentwicklung des ›Rates der siebzig Wächter‹. Der Kongress war das mächtigste Gremium des Reiches, bevor Refi Zul sich zum absoluten Herrscher aufgeschwungen hatte. Seitdem darf die Volksvertretung nur noch abnicken, was der König beschließt. Zul hat schon mehrere Abgeordnete umbringen lassen, denen das gestunken hat. Deshalb sind in jüngerer Zeit etliche in den Untergrund gegangen und haben sich dem Unsichtbaren Kreis angeschlossen. Er nennt sie Rebellen. Viele von uns leben unerkannt unter euch. Manche sind Traumgeborene, andere Nachfahren der Insulaner, die nach der Flut kamen. Wir kämpfen einen ständigen Kampf gegen die Geheime Schlafpolizei. Meinen Vater verehren sie als Märtyrer, als Wegbereiter ihrer Bewegung. Für Refi Zul sind wir alle Hochverräter. Er jagt uns gnadenlos.«
    »Warum hat es so lange gedauert, bis sich Widerstand regte?«
    »Weil man ihn anfangs für einen Heilspropheten hielt. Grenzenloses Wachstum war ihm eine heilige Pflicht und das nutzte auch vielen anderen. Die dazu nötige Macht schöpfte er aus der Traumenergie – es gab ja immer mehr Menschen auf der Erde. Er hat manchen Krieg angezettelt und manche

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