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Das Geheimnis der versteinerten Traeume

Das Geheimnis der versteinerten Traeume

Titel: Das Geheimnis der versteinerten Traeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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können.«
    »Du hast einen Rindfleischglauben«, versetzte sie gereizt.
    »Was?«
    »Du glaubst, dass zwei Pfund Rindfleisch eine gute Suppe machen.«
    »Ist doch auch so, oder?«
    Orla schnaubte. »Leo, es gibt so viele Dinge, die du nie gesehen hast und an denen du trotzdem nicht zweifelst.«
    Er reckte das Kinn vor. »Ach! Was denn?«
    »Nimm den Wind – du kannst ihn fühlen und sehen, wie er übers Kornfeld streicht. Oder die Gravitation – eine falsch eingeschätzte Treppenstufe und du bekommst sie schmerzhaft zu spüren. Warum sträubst du dich so dagegen, die Traumenergie anzuerkennen?«
    »Ich habe aus Trompetenrohren Libellenschlangen gemacht. War das etwa nichts?«
    »Es war ganz nett. Jedenfalls besser als die Ritter mit den Glasknochen. Willst du aber ein wirklich großer Traumwandler werden, dann musst du aufhören alles reflexhaft zu bemäkeln und
vor den Gegenbeweisen die Augen zu verschließen. Genauso zweifelst du nämlich auch an dir selbst und das blockiert dich.«
    »Tue ich das?«
    Sie nickte. »Ist sogar irgendwie verständlich. In der Schule bringt man uns bei, alles in Frage zu stellen und endlos darüber zu diskutieren. Wenn dieses Verhalten freilich zum Selbstzweck wird, find ich’s ziemlich dämlich. Für Leute, die etwas nur deshalb kritisieren, weil sie zu beschränkt sind, den größeren Zusammenhang zu erkennen, fehlt mir das Verständnis.«
    »Du bist hier geboren. Gib mir ein bisschen Zeit, um mich an das alles zu gewöhnen.« Leos Blick wanderte wieder zu Atnam und Batoi, die das Boot mit kräftigen Flossenschlägen durchs Wasser zogen. »Wie sagtest du doch gleich, funktioniert das mit den Spürwalen?«
    Orla atmete vernehmlich aus. »Ich bin ihre Freundin. Vielleicht – falls ich als Schlafverwandlerin begabt genug bin – sogar ihre Schöpferin. Sie spüren, wohin es mich drängt und wissen instinktiv, an welchem Ort mein Wunsch erfüllt wird. Hier, wo die Traumenergie alles durchdringt, ist das weniger erstaunlich, als es dir vorkommen mag.«
    »Und du bist ganz sicher, dass sie den Weg kennen?«
    Sie stöhnte.
    Leo drehte sich zu ihr um und grinste. »War nur ein Scherz. Ich glaube dir. Was uns auf Rapa Nui erwartet, können uns deine Freunde nicht verraten, oder?«
    Orla funkelte ihn an. »Wäre das Leben nicht langweilig, wenn es keine Überraschungen gäbe?«
     
    Bennos Schweigsamkeit war Leo ein Rätsel. Der Rotschopf verbrachte Stunden damit, im Heck des Auslegerbootes zu sitzen und still vor sich hin zu brüten. Wahrscheinlich schmollte er.
Immerhin hatte Orla ihn entlarvt. Ausgerechnet er, der obercoole Sohn eines Potsdamer Müllbarons hatte sich vor Angst fast in die Hose gemacht. Sein schillernder Wortschatz umfasste mindestens tausend Begriffe für Weicheier, von Bettsockenträger, über Streichelzoobesucher bis hin zu den Verfallsdatumlesern. Jetzt hatte Benno Kowalski seine verletzliche Seite gezeigt. Kein Wunder, dass ihm das peinlich war.
    »Wir sind die Chaoten auf dem Weg ins Nirgendwo«, hatte er kurz nach seiner Rettung durch die Illúsierin in resignierendem Tonfall gesagt. Leo war nicht sicher gewesen, ob in dieser freudlosen Bemerkung der alte Wortverwechsler aufblitzte und sein
    Freund in Wirklichkeit Kanuten meinte. Vielleicht hatte Benno sich auch nur als eloquenter Schwarzseher hervortun wollen.
    Für die meisten Menschen ist die Idee, in einer Nussschale durch die Unendlichkeit zu treiben, nicht sonderlich reizvoll, selbst wenn das Boot über einen Ausleger verfügt. Die Reise auf dem Chaos kam auch für Leo dieser Vorstellung sehr nahe. Deshalb hatte er sich auf eine Tortur mit offenem Ende eingestellt.
    Manchmal war am weiten Horizont tatsächlich keine einzige Insel zu sehen, was er schon etwas beängstigend fand. Und das schmale Kanu hätte vielleicht einer Person ausreichend Platz geboten, für drei war es an Unbequemlichkeit kaum zu überbieten. Der Rest hätte schlimmer sein können.
    In den ersten zwei Tagen war das Klima auf dem Süßwassermeer mild und die See ruhig. Tagsüber musste niemand frieren. Im Gegenteil war ab dem späten Vormittag zum Schutz vor der Sonne sogar ein Turban vonnöten, gewickelt aus den dunkelblauen Schulpullovern. Zum Stillen des Durstes brauchten die »Chaoten« nur die Hand ins Wasser zu senken und zum Mund zu führen. Gegen den großen Hunger half der Proviantbeutel, den das Mädchen von Anfang an rationiert hatte.

    Richtig ungemütlich wurde es abends, wenn die Dunstschleier über das Meer waberten und

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