Das Geheimnis der versteinerten Traeume
flüsterte Orla in Leos Ohr.
»Bist du sicher?«, wisperte er zurück. Die im Raum verstreuten Prismen und die dicht gestaffelten Leibwächter ließen keinen Blick auf das Gesicht des Königs zu.
»Nur Refi Zul besitzt einen Mantel aus gewebten Kristallfäden…« Unvermittelt riss sie die Augen auf. »Sieh mal einer an! Wen haben wir denn da?«
Leo stockte der Atem.
Hinter dem illúsischen Herrscher kam Benno Kowalski herauf.
Seine Miene verriet Furcht. Er war kreidebleich. So sah kein Verräter aus, eher ein Delinquent auf dem Weg zum Schafott. Wahrscheinlich hatte man ihn unten im Ratssaal verhört. Ein nachfolgendes Hyänenschwein stieß ihn in die Halle. Er stolperte und der Anhänger mit dem Vogel-Augen-Symbol rutschte ihm aus dem Halsausschnitt. Im nächsten Moment verschwand er hinter den Leibwächtern und Prismen. Unwillkürlich wechselte Leos Blick zu Orla.
Zorn stand ihr ins Gesicht geschrieben. Die Fingerknöchel ihrer Schwerthand schimmerten bleich wie Elfenbein auf dem Heft.
»Ich glaube nicht, dass er geplaudert hat«, hauchte er ihr ins Ohr.
Sie schwieg, sah ihn nicht einmal an.
Während Refi Zul und Benno sich auf das Traumtor zubewegten, strömten immer weitere Wächter in den Quellsaal. Sollten sie den Raum durchsuchen, könnte selbst eine Maus sich nicht vor ihnen verstecken. Leo fror. Ihm war eiskalt.
Endlich erhaschte er einen Blick auf die stattliche Gestalt des Monarchen. Leider nur von hinten. Refi Zul mochte an die zwei Meter messen und hatte welliges, kurzes, schwarzes Haar. Er
sagte etwas zu Benno, der darauf die Augen niederschlug und nickte. Hiernach sprach der König mit den Leibwächtern. Seine großen Hände vollzogen Gesten, die anscheinend ganz Rapa Nui einschlossen. Es rauschte zu stark, um auch nur ein Wort zu verstehen. Trotzdem konnte sich Leo denken, worum es ging: Durchsucht die Insel nach dem Jungen und dem Mädchen. Ich will sie haben. Tot oder lebendig.
Refi Zul blickte zur Quelle empor und rief etwas.
»Er öffnet das Tor. Gleich entwischt er uns.« Orlas Atem ließ Leos Ohr erglühen. Er sah sie erschrocken an.
»Du willst doch nicht etwa zu ihm gehen?«
»Dazu bin ich hergekommen. Illúsion muss endlich wieder sichtbar werden.«
»Das lasse ich nicht zu, Orla. Die Schweine werden dich töten.«
»Versuch mich daran zu hindern.« Sie wollte sich erheben.
Leo griff nach ihrem Schwertarm, hielt ihn mit aller Kraft fest und schüttelte den Kopf. »Begreif doch! Du kannst nicht mit ihm verhandeln. Auf der Lichtung haben uns seine Wächter ohne Vorwarnung angegriffen. Folgen wir Zul lieber durch das Tor. In meiner Welt gelten andere Regeln. Da ist er nur stark, weil YourDream die Menschen manipuliert. Das können wir ändern. Seine Firma steht schon gewaltig unter Druck. Wir sorgen dafür, dass sein Imperium zerschlagen wird.«
»Du hast ja keine Ahnung. Zul kann…« Sie starrte entsetzt zur Quelle. »Mist!«
Der König war weg. Gerade sah Leo noch, wie Benno im Wasserfall verschwand. Zwei Krieger folgten ihm.
Orla hieb mit der Faust gegen ein Prisma. »Wegen deinem Gesülze ist er uns jetzt entwischt.«
Er schluckte den Vorwurf wie eine bittere Pille kommentarlos
hinunter. Irgendwie konnte er ihren Ärger sogar verstehen. Auf die Wächter deutend, die nun zum Wendelweg zurückliefen, flüsterte er: »Sie ziehen ab. Wahrscheinlich, um die Insel nach uns zu durchkämmen. In ein paar Minuten werden sie die Kadaver ihrer Kumpels finden und merken, dass der Drache fehlt. Bis dahin müssen wir verschwunden sein. Wir folgen Zul, befreien Benno und bringen die Wahrheit über YourDream ans Licht.«
Sie schüttelte ärgerlich den Kopf und zischte: »Das ist kein Computerspiel, Leo, sondern die Wirklichkeit. Hier kannst du nicht einfach auf Reset drücken, wenn du beim ersten Anlauf den nächsten Level verfehlst. Sollten die Wächter auch nur ahnen, dass wir im Kristall sind, wird uns ein ganzes Rudel hinterherjagen.«
»Und was willst du dagegen tun? Es etwa allein mit den Bestien aufnehmen? Nur über meine Leiche.« Um seine Entschlossenheit zu unterstreichen, hob er kämpferisch den Stachel von Marks Igelratte.
Sie schnaubte. »Mach dich nicht lächerlich, Leo. Gegen die Wächter richtest du mit deinem Eiszapfen gar nichts aus.«
»Immerhin habe ich einen damit getötet.«
»Das war wohl eher ein Unfall.«
»Wenn du mich in deine Pläne einweihst, können wir gemeinsam …«
»Uns fehlt die Zeit zum Diskutieren«, fiel sie ihm barsch ins Wort. »Gerade
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