Das Geheimnis der Wellen
benutzen.
Doch zuerst würde sie meditieren. Diesmal vielleicht mit etwas Weihrauch. Normalerweise bevorzugte sie die frische Meeresluft, aber das hatte nicht funktioniert.
Voller Vorfreude nahm sie einen Stift, einen Block, die Kopie ihres Phantombilds und legte alles neben dem Meditationskissen im Schlafzimmer bereit. Obwohl sie nicht besonders gut zeichnen konnte, wollte sie versuchen, das Bild ihren Vorstellungen anzugleichen. Während sie mit der Meditationsatmung begann, ging sie zum Schrank, in dem sie ihre Räucherstäbchen und -kegel sowie die verschiedenen Ständer aufbewahrte, die sie über die Jahre gesammelt hatte.
Vielleicht den Lotusduft? Der öffnete das innere Auge. Das hätte ihr auch früher einfallen können.
Sie nahm die Schachtel aus dem Schrank und hob den Deckel ab. Mit einem erstickten Schrei ließ sie sie fallen, als hätte eine Schlange sie gebissen.
Weihrauch rieselte zu Boden, und die Ständer klirrten, als die Waffe zu Boden fiel. Instinktiv wich sie zurück. Am liebsten wäre sie davongelaufen, doch dann setzte der Verstand ein.
Derjenige, der die Waffe bei ihr versteckt hatte, würde nicht im Haus darauf warten, dass sie sie fand. Er hatte sie versteckt, damit die Polizei sie fand. Langsam versuchte sie, ihre Atmung zu beruhigen.
Das musste bedeuten, dass derjenige, der die Waffe zuletzt in der Hand gehabt hatte, der Mörder war.
Sie ging sofort zum Telefon.
»Vinnie, ich habe ein Riesenproblem. Kannst du sofort kommen?«
In weniger als zehn Minuten stand er vor der Tür.
»Ich wusste nicht, was ich sonst tun sollte«, sagte sie.
»Du hast genau das Richtige getan. Wo ist die Waffe?«
»Im Schlafzimmer. Ich habe sie nicht angefasst.« Sie führte ihn hin und wartete in sicherer Entfernung, während er in die Hocke ging, um die Waffe näher zu untersuchen. »Es ist eine 32er.«
»Also die gleiche Waffe, mit der …«
»Ja.« Er stand wieder auf, zog sein Handy aus der Hosentasche und machte mehrere Fotos.
»Du bist ja in Zivil«, sagte sie. »Du hattest keinen Dienst. Du warst bei deiner Familie.«
»Abra.« Er drehte sich um, umarmte sie und tätschelte ihr väterlich den Rücken. »Entspann dich! Ich muss Corbett verständigen.«
»Ich schwör dir, das ist nicht meine Waffe.«
»Ich weiß, und niemand wird etwas anderes vermuten. Entspann dich«, wiederholte er. »Wir kriegen das hin. Hast du was Kaltes da?«
»Was Kaltes?«
»Ja, Cola, Eistee oder so was?«
»Natürlich.«
»Ich könnte ein kaltes Getränk gebrauchen.«
Er hatte ihr eine Aufgabe gegeben, um sie zu beruhigen. Also würde sie sich beruhigen.
Sie holte einen Topf aus dem Schrank, gab Wasser und Zucker hinein, erhitzte die Flüssigkeit, um den Zucker aufzulösen, und presste Zitronen aus.
Als Vinnie in die Küche kam, goss sie die Mischung gerade in einen Saftkrug.
»Das wäre doch nicht nötig gewesen!«
»So war ich wenigstens beschäftigt.«
»Du hast einfach so frische Limonade gezaubert.«
»Die hast du dir verdient. Sag Carla, dass es mir um euer Wochenende leid tut.«
»Sie hat einen Polizisten geheiratet, Abra. Sie weiß, was das bedeutet. Corbett ist unterwegs. Er will die Waffe am Fundort in Augenschein nehmen.«
Sie wollte, dass die Waffe und der Tod, den sie ausstrahlte, so schnell wie möglich aus dem Haus geschafft wurden. »Aber dann nehmt ihr sie mit?«
»Dann nehmen wir sie mit«, versprach Vinnie. »Also, erzähl mir, was genau passiert ist.«
»Ich war im Dorf und habe mich ein wenig im Geschenkeladen aufgehalten. Anschließend habe ich mir ein Eis gekauft und bin wieder nach Hause gegangen.«
Während sie sprach, goss sie die Limonade auf Eiswürfel und stellte einen Teller mit knusprigen Keksen auf den Tisch. »Ich war höchstens eine gute Stunde weg.«
»Hast du hinter dir abgeschlossen?«
»Ja, ich bin seit dem Einbruch in Bluff House ziemlich vorsichtig.«
»Wann hast du das letzte Mal einen Blick in die Schachtel geworfen?«
»Ich benutze nur selten Räucherstäbchen und habe schon lang keine mehr gekauft. Meist kaufe ich mehr, als ich verbrauche, ich verschenke sie eher. Aber ich rede dummes Zeug.« Sie nahm einen Schluck. »Ich weiß nicht mehr, wann, aber ich würde sagen, das ist bestimmt einige Wochen her. Mindestens drei.«
»Du bist nicht oft zu Hause, verbringst viel Zeit in Bluff House?«
»Ja. Ich gebe Yogakurse, mache Putzjobs und Besorgungen für mich und meine Kunden. Außerdem übernachte ich fast immer bei Eli. Wer Kirby Duncan ermordet
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