Das Geheimnis der Wellen
einer Kaminschaufel einschlagen.«
»Das stimmt nicht.«
»Natürlich nicht. Ich will damit nur sagen, dass ich Mike aufrichtig liebe. Ich glaube, man muss jemanden wirklich lieben oder hassen, um ihm den Schädel einzuschlagen. Oder es geht um etwas ganz anderes. Um Geld, Angst, Rache. Keine Ahnung.«
»Also, wer war es?«
»Wenn ich das wüsste und es beweisen könnte, würde man mich gleich zum Lieutenant befördern. Oder zum Captain. Ich wäre gern Captain.«
»Das bist du bereits: Kapitän des O’Malley-Schiffs.«
»Stimmt. Von mir aus darfst du gern der Fernsehcaptain sein, der Elis Unschuld beweist.«
Als ihre Freundin schwieg, tätschelte Maureen Abras Arm. »Das war ein Witz! Lass dich da bloß nicht reinziehen. Der Rummel wird vorbeigehen, Abra. Eli wird’s überleben.«
»Was könnte ich tun?« Eine Frage, die ausschloss, nichts zu tun.
Als sie kehrtmachten, merkte sie, wie froh sie war, laufen gegangen zu sein. Das half, schlechte Laune loszuwerden und wieder klar zu denken. Weil der Winter so kalt war, fehlte ihr die Bewegung, das Geräusch ihrer Schritte im Sand, während sie begierig die frische Meeresluft einsog.
Sie war jemand, der gern im Hier und Jetzt lebte, trotz dem hatte sie große Sehnsucht nach dem Frühling und Sommer.
Ob Eli dann immer noch in Bluff House wohnen würde? Vielleicht musste man ein wenig nachhelfen. In diesem Moment sah sie ihn am Wasser stehen, die Hände in den Hosentaschen, den Blick in die Ferne gerichtet.
»Da ist Eli.«
»Was? Wo denn? Oh, Mist.«
»Was ist denn dein Problem?«
»Dass ich bei unserer ersten Begegnung völlig verschwitzt, rot im Gesicht und außer Atem bin. Eine Frau möchte doch gewisse Standards wahren, wenn sie zufällig ihrem ersten Freund über den Weg läuft. Warum habe ich bloß meine älteste Jogginghose angezogen? Darin sehen meine Beine aus wie Baumstämme.«
»Stimmt doch gar nicht! Das würde ich nie zulassen.«
»Mist«, knurrte Maureen erneut. Warum hatte sie nicht wenigstens Lipgloss dabei?
Abra winkte. Sie konnte Elis Augen nicht sehen, da er eine Sonnenbrille trug. Aber er winkte nicht einfach nur zurück, sondern wartete. Das war ein gutes Zeichen.
»Hallo.« Abra blieb stehen, stützte die Hände auf die Oberschenkel und machte einen Ausfallschritt nach hinten, um ihr Bein zu dehnen. »Hätte ich Sie vorher gesehen, hätten wir Sie überredet, mit uns zu joggen.«
»Spazieren gehen passt momentan eher zu meiner Kondition.« Er drehte kurz den Kopf, bevor er seine Sonnenbrille abnahm.
Zum ersten Mal sah Abra ihn richtig lächeln, als er Maureen anstrahlte.
»Maureen Bannion, so eine Überraschung.«
»Ja.« Verlegen wollte sie sich durchs Haar fahren, als ihr einfiel, dass sie eine Mütze trug. »Hallo, Eli.«
»Maureen Bannion«, wiederholte er. »Nein, wie heißt du gleich wieder?«
»O’Malley.«
»Genau. Als ich dich das letzte Mal gesehen habe, warst du …«
»Hochschwanger.«
»Du siehst toll aus.«
»Ich sehe verschwitzt und zerzaust aus, trotzdem danke. Schön, dich zu sehen, Eli.«
Maureen trat auf ihn zu und umarmte ihn fest.
Und genau deshalb, dachte Abra, ist mir Maureen auf Anhieb sympathisch gewesen. Diese ehrliche, offene Art. Diese Natürlichkeit und Herzlichkeit.
Sie sah, wie Eli die Augen schloss, und fragte sich, ob er ebenfalls an die Nacht unterm Pier von Whiskey Beach zurückdachte. An die Zeit, als alles noch so einfach und unschuldig zu sein schien.
»Ich wollte dir Zeit geben, dich einzugewöhnen«, sagte Maureen, als sie sich von ihm löste. »Aber jetzt musst du dringend mal zum Abendessen vorbeischauen, damit du Mike und die Kinder kennenlernst.«
»Oh, ich …«
»Wir wohnen im Sea Breeze, gleich neben Abra. Wir werden einen Termin finden und uns wieder auf den neuesten Stand bringen. Wie geht es Hester?«
»Besser, viel besser.«
»Sag ihr, der Yogakurs vermisst sie. Ich muss los, meine Kinder von einem Spielnachmittag abholen. Willkommen daheim, Eli. Ich freue mich, dass du wieder in Bluff House bist.«
»Danke.«
»Abra, wir sprechen uns später. Mike und ich haben übrigens vor, am Freitagabend in den Dorfpub zu gehen. Überrede doch Eli mitzukommen.«
Sie winkte kurz, und weg war sie.
»Ich wusste gar nicht, dass Sie sich kennen«, hob Eli an.
»Wir sind beste Freundinnen.«
»Aha.«
»Das gibt es auch jenseits des Teenageralters. Und beste Freundinnen erzählen sich alles.«
Er wollte schon nicken, als sie sah, wie der Groschen fiel. »Oh, verstehe.«
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