Das Geheimnis der Wunderkinder
müssen, um ihn Ihrer Fürsorge persönlich anzuvertrauen. Allerdings ist James durchaus fähig, für sich selbst zu sorgen, das werden Sie sicher auch bemerken, noch lange bevor Sie und ich uns persönlich begegnen werden.
Inzwischen jedoch denken Sie daran, daß unsere Briefe uns weitaus besser miteinander bekannt machen als ein paar kurze Stunden persönlichen Kontakts dies vermocht hätten.
Mir freundlichen Grüßen
Charles Maxwell
»Ja so was«, murmelte Mrs. Bagley. »Ich weiß nicht, was ich sagen soll.« Dann blickte sie Jimmy an, der lächelnd zu ihr aufsah. »Ich glaube, dein Mr. Maxwell gefällt mir nicht.«
»Warum nicht?«
»Er hat mich hier sozusagen festgenagelt. Er weiß ganz genau, daß ich dich nicht gut hier ganz allein lassen kann, gleichgültig wie sehr mir die ganze Situation mißfällt. Er hat mich praktisch gezwungen, zu bleiben.«
Jetzt unterdrückte James ein Lächeln. »Mrs. Bagley, so wie in Shipmont die Züge fahren, sind Sie sowieso gezwungen, wenigstens diese Nacht hier zu bleiben.«
Mrs. Bagley betrachtete James eingehend. Seine Größe, sein Aussehen waren genau das eines Achtjährigen. Nichts war außergewöhnlich an ihm, und doch sprach er mit der Selbstsicherheit eines Erwachsenen. »Ich bin etwas verwirrt«, sagte sie schließlich seufzend.
»Verwirrt? Oh, das ist nicht nötig«, meinte Jimmy. »Sie sollten daran denken, daß Schriftsteller merkwürdige Leute sind. Sie passen sich anderen nicht an, sie richten sich nicht nach der Uhrzeit und prahlen damit, daß sie in drei Wochen einen Roman geschrieben haben, erwähnen jedoch nicht, daß sie sechs Monate lang herumgesessen und Bier getrunken haben, während sie sich den Roman ausdachten.«
»Und was soll das heißen?«
»Das soll heißen, daß Mr. Maxwell es als ganz in Ordnung empfindet, wenn er seinen eigenen Angelegenheiten nachgeht und von Ihnen erwartet, daß Sie sich um Ihre kümmern.«
»Aber was soll ich tun?«
James lächelte. »Sehen Sie sich erst einmal im Haus um. Das dritte Stockwerk ist verschlossen, die Räume gehören Maxwell, und außer ihm hat niemand sie zu betreten. Das große Schlafzimmer im zweiten Stock ist meines. Von den übrigen Räumen können Sie sich einen oder mehrere aussuchen, ganz wie Sie wollen. Machen Sie sich dann einen Tee und ruhen Sie sich aus. Tun Sie, was Maxwell Ihnen sagt – verhalten Sie sich so, als wären Sie angekommen, bevor er abreiste und als hätten Sie mündlich noch einmal geregelt, was brieflich bereits vereinbart war. Betrachten Sie es einmal von seinem Standpunkt.«
»Wie ist sein Standpunkt?«
»Er ist ein Schriftsteller. Er hat dieses Haus brieflich gemietet, er macht seine Einkäufe schriftlich und verdient seinen Lebensunterhalt durch Schreiben. Es braucht Sie also nicht zu überraschen, wenn er auch seine Haushälterin schriftlich engagiert und ihr schriftlich die Verantwortung überträgt.«
»Mit anderen Worten«, begann Mrs. Bagley, »die Tatsache, daß er mir schriftlich eine Stellung angeboten, und ich sie schriftlich angenommen habe …«
»Das Schreiben wurde zu dem ausdrücklichen Zweck erfunden, ein Übereinkommen zweier Menschen festzuhalten, damit auch andere dieses lesen können«, erklärte James Holden sachlich. »Die ganze Welt wird auf der Basis regiert, daß niemand auch nur eine Hand hebt, bis Verträge unterschrieben sind – und hier sitzen Sie, unglücklich, weil Sie nicht durch ein persönliches Schwätzchen und einen Händedruck verpflichtet wurden.«
Mrs. Bagley war ein wenig gekränkt über die offene Kritik des Jungen. Sie überlegte und kam zu dem Schluß, daß, so merkwürdig manches auch war, nichts darauf schließen ließ, daß in diesem Haus etwas Unrechtes vor sich ging.
»Ich werde meine Sachen holen«, erklärte sie.
James Holden atmete erleichtert auf. Diese Hürde hatte er genommen!
In den folgen Tagen verlief das Leben ruhig und angenehm für Mrs. Bagley, und allmählich gewöhnte sie sich ein. Sie versuchte, aus Jimmy schlau zu werden, aber der Junge blieb ihr ein Rätsel.
Aus weiteren Briefen Maxwells erfuhr sie, daß der Junge keine Mutter mehr hatte und nicht Maxwells Sohn war. Dies schien auf zerbrochenes Heim und Wiederverheiratung zu deuten. Mrs. Bagley beschäftigte sich viel mit diesem Problem und gab schließlich auf. Sie hatte hier immerhin für sich und ihre Tochter ein Heim gefunden.
Anfangs fragte Mrs. Bagley Jimmy unaufhörlich, ob Mr. Maxwell wohl dies oder jenes gutheißen würde, ob
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