Das Geheimnis der Wunderkinder
sie dies so oder anders tun sollte, aber dann lief sich auch das ein.
Gegen Ende der ersten Woche begannen die Vorräte knapp zu werden, und noch immer gab es kein Anzeichen für Mr. Maxwells Rückkehr. Etwas besorgt schnitt Mrs. Bagley das Thema Einkäufe an. Jimmy schenkte ihr ein strahlendes Lächeln.
»Ja, einen Augenblick«, sagte er ruhig, verschwand nach oben und kam gleich darauf wieder mit einem Brief zurück.
Mrs. Bagley las:
Liebe Mrs. Bagley!
Beiliegend finden Sie Briefe an verschiedene Geschäftsleute in Shipmont, die Sie als meine Haushälterin vorstellen und Anweisung enthalten, Ihre Einkäufe auf meine Rechnung gehen zu lassen. Es dürfte kaum Schwierigkeiten geben. Ich schlage übrigens vor, daß Sie mit beigefügtem Gehalts-Scheck ein Sparkonto bei der hiesigen Bank eröffnen.
Ich hoffe, daß sonst alles zu Ihrer Zufriedenheit ist.
Mit freundlichen Grüßen
Charles Maxwell
»Ja, ich bin recht zufrieden«, dachte Mrs. Bagley laut.
»Sie machen sich also keine Sorgen mehr über Mr. Maxwell?« fragte James ernsthaft.
»Doch«, murmelte Mrs. Bagley unglücklich. »Ich habe Angst, daß er Dinge wieder verändert, daß ihm Martha nicht gefällt, daß ihm vielleicht meine Art zu kochen nicht zusagt oder sonst etwas, das ich tue und daß er … nun, daß er mich behandelt wie einen Dienstboten, der nicht mehr viel im Haushalt zu sagen hat – wenn er zu-zurückkommt.«
James Holden zögerte, überlegte und lächelte dann. »Mrs. Bagley«, sagte er entschuldigend, »ich habe Ihnen schon eine Menge erzählt, ich hoffe, Sie können auch dies noch vertragen.«
Mrs. Bagley runzelte die Stirn und James setzte hastig hinzu: »Es ist nichts Schlechtes, glauben Sie mir. Ich meine … nun, Sie müssen selbst urteilen … Sehen Sie, Mrs. Bagley«, erklärte er ernst, »es gibt gar keinen Charles Maxwell.«
Janet Bagley setzte sich schwerfällig hin. Zwei Gedanken kreuzten sich in ihrem Kopf: Jetzt muß ich fortgehen und ich kann nicht fortgehen.
Sie saß da und blickte den Jungen an und versuchte zu begreifen, was er gesagt hatte. Mrs. Bagley war noch eine junge Frau, aber sie hatte ein hartes Leben hinter sich; ihr Mann war tot, sie besaß nichts und mußte ein kleines Kind ernähren und aufziehen … Sie hatte genügend Kummer und Sorgen gehabt und wollte nicht noch mehr davon. Sie hatte jedoch auch gelernt, ruhig und überlegt zu handeln, und das Beste aus dem zu machen, was ihr das Leben bot. Sie war kein Mensch, der leicht in Panik geriet.
Also überlegte Janet Bagley einen Augenblick und sagte dann: »Erzähle mir, was das alles bedeutet, James.«
»Ich bin Charles Maxwell«, erklärte James Holden sofort. »Das heißt, ›Charles Maxwell‹ ist ein Künstlername. Sonst existiert er nicht.«
»Aber …«
»Es ist wahr, Mrs. Bagley«, sagte der Junge ernst. »Ich bin zwar erst acht Jahre alt, aber ich verdiene tatsächlich selbst meinen Lebensunterhalt – als Schriftsteller, und unter anderem auch unter dem Namen Charles Maxwell. Vielleicht haben Sie einige der ›Maxwell-Bücher‹ gesehen? Ja? Dann haben Sie vielleicht auch die kurzen Kritiken auf den Umschlägen gelesen. Ich erinnere mich, daß es in einer hieß, daß Charles Maxwell schreibt, als ob er selbst ein Junge mit der Erziehung eines Erwachsenen wäre. Nun, genauso ist es.«
»Aber ich habe mich doch über Mr. Max … ich meine über dich informiert. In Woman’s Life war ein langer biographischer Artikel über Maxwell. Einunddreißig Jahre alt, wenn ich mich recht erinnere.«
»Ich weiß. Ich habe das selbst geschrieben. Es war alles erfunden.«
»Du hast es geschrieben … aber warum denn?«
»Weil man mich darum gebeten hat«, erwiderte James.
»Aber … ich meine … Wer ist denn nun Mr. Maxwell? Der Mann am Bahnhof hat doch etwas von einem Eremiten gesagt … aber …«
»Der Eremit von Martin’s Hill ist eine sorgfältig erdachte und sehr nützliche Persönlichkeit, um etwas zu erklären, was sonst als sehr merkwürdiger Haushalt erscheinen würde«, sagte James Holden. »Charles Maxwell existiert nur in der Vorstellung der Nachbarn und der Verleger mehrerer Magazine – und natürlich der Leser.«
»Aber er hat mir doch persönlich geschrieben.« Die verwirrte Frau hielt inne.
»Das ist richtig, Mrs. Bagley. Es ist nicht im geringsten ungesetzlich, wenn ein Schriftsteller einen Künstlernamen hat. Einige Schriftsteller werden unter ihrem Pseudonym so berühmt, daß sie auch so genannt werden. Solange
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