Das Geheimnis Des Amuletts
in mein Tagebuch zu schreiben, so dass der Wanderer es eines Tages würde lesen können. Irgendwie stellte ich mir vor, dass er wusste, dass ich mit ihm sprach, und dass er eines Tages antworten würde. Es schien ihn am Leben zu halten, auch wenn es mir das Herz brach. Für Tom, für meine Mutter, für die Familie, die ich nie gehabt hatte, für die Person, die ich hätte sein können, und für die Scham, von der ich mich nicht erholen konnte. Ich fand ein Gedicht in der Bibliothek, das sagte, was ich selbst nicht sagen konnte, und ich schrieb es in mein Tagebuch ab:
Ich wende mein Gesicht schweigend zur Mauer;
Mein Herz zerbricht für ein kleines bisschen Liebe …
Das war ich. Das war meine geheime Geschichte. Dann fand ich Evie und Sarah und Agnes. Ich hatte meine Schwestern, und obwohl das nicht alles war, wonach ich mich sehnte, war es ein großartiges Geschenk. Und ich sagte mir immer wieder, dass da doch etwas Gutes an Wyldcliffe wäre, nämlich dass ich Dr. Franzen nie mehr wiedersehen musste.
Aber da war er, betrat mit seinem Stock klopfend wie ein verkrüppelter Teufel die Abteischule, bereit, mich in die Hölle zurückzuschicken. Und niemand konnte mich vor ihm beschützen; weder meine Schwestern noch meine Mutter – und ganz sicher auch kein bezaubernder Musikschüler.
Ich wollte nur noch weglaufen.
Dreizehn
Aus dem Tagebuch von Helen Black
7. Oktober
Weiße Flügel, tragt mich weg von hier,
Dorthin, wo der Wind frei weht.
Zu den Sternen steige ich empor,
Und der stille verborgene Geist
Des Weltenherzes umhüllt mich;
Wie ein Atemhauch,
Wie die Umarmung einer Mutter.
Ich habe die ganze Zeit nachgedacht und gegen mich und meine Ängste angekämpft. Es wäre feige von mir, wenn ich jetzt vor Dr. Franzen weglaufe. Meine Mutter hat das getan; sie ist vor dem Siegel und all dem, was es bedeutet, weggelaufen, und dann blieb sie mit der bloßen Erinnerung an das zurück, was hätte sein können. Ich will nicht den gleichen Fehler machen.
Ich sehne mich danach, von Wyldcliffe wegzukommen, aber ich werde nicht gehen, solange ich nicht weiß, dass meine Schwestern wirklich in Sicherheit sind. Dr. Franzen kann sie nicht so behandeln, wie er mich behandelt hat, als ich in seiner »Obhut« war, aber bevor ich die beiden zurücklassen kann, muss erst noch das Schicksal meiner Mutter geklärt sein. Und dann wartet noch eine andere Aufgabe auf mich. Laura.
Sarah und Evie haben geschworen, sie zu befreien und den Bannspruch zu lösen, der sie als Gebundene Seele fesselt. Aber ich allein bin schuld an Lauras Schicksal, so wie ich allein die Bürde der Scham tragen muss, was dein Schicksal betrifft, Wanderer. Ich kann dir jetzt nicht helfen, aber wenn ich Laura finden und berühren kann, begleiche ich damit vielleicht wenigstens einen Teil meiner Schuld. Ich hätte schon früher daran denken sollen, ihr zu helfen. Da siehst du, wie selbstsüchtig ich war, vollkommen mit meinen eigenen Gedanken und Träumen beschäftigt! Ich werde allerdings nicht zulassen, dass Evie und Sarah noch weitere Risiken eingehen, und deshalb muss ich sie davon überzeugen, dass ich dies allein tun kann.
Laura, meine Mutter, meine Schwestern. Wenn sie in Sicherheit sind, wenn all das geschafft ist, werde ich endlich von hier weglaufen. Und wenn dieser Tag kommt, beginne ich von vorn, allein, und finde meine Bestimmung.
»Ich kann das allein tun«, sagte ich. »Ich bin sicher, dass ich Laura finde.«
»Allein?«, fragte Sarah ungläubig. »Aber was ist mit dem Kreis? Du kannst ihn nicht allein herstellen.«
»Ich brauche vielleicht gar keinen Kreis«, sagte ich etwas unbeholfen. »Ich möchte es einfach probieren. Ich möchte nicht, dass ihr beiden irgendetwas riskiert, und abgesehen davon war es mein Fehler, dass sie sich Laura überhaupt geholt haben. Deshalb sollte ich auch diejenige sein, die die Dinge wieder in Ordnung bringt.«
»Aber wäre es nicht besser, wenn wir zusammenarbeiten, wie wir es immer getan haben?«, fragte Evie.
»Es wäre einfacher, wenn ihr mich das allein machen lassen würdet«, bat ich sie beide. »Je schneller ich Laura finde und befreie, desto schneller kann ich …«
»Was?«, fragte Sarah.
»Desto schneller kann ich mir vergeben, vermute ich.« Ich zuckte mit den Schultern.
»Was mit Laura passiert ist, war nicht dein Fehler, Helen«, sagte Evie sanft.
»Aber ich war da, als der Hexenzirkel ihre Seele eingesaugt hat. Ich hätte sie aufhalten können!«
»Du hast doch gar nicht genau gewusst, was
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