Das Geheimnis Des Amuletts
finden.«
In meinem Geist blitzte die Vision auf, die ich schon beim letzten Mal im Steinkreis gehabt hatte, ich sah das Bild meiner Mutter. Sie lächelte und streckte ihre Hände nach mir aus. Ich wäre am liebsten zu ihr hingerannt. Wir würden das gemeinsam tun, Seite an Seite … Sie öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber ich hörte nicht ihre Stimme, sondern die von Miss Scratton, die schroff und trocken sagte: »Wach auf, Helen, wach auf.«
Wovon sollte ich aufwachen? Von der Illusion, dass meine Mutter sich wirklich geändert hatte? Ich sehnte mich danach, ihr zu vertrauen und mit ihr zusammenzuarbeiten, aber was, wenn … was, wenn … was, wenn …? Ich trat einen Schritt zurück und sah zum Himmel hoch, suchte verzweifelt nach Rat. Der Himmel war jedoch leer und traurig. Ich war allein, hielt das Schicksal anderer Menschen in meinen zarten und kraftlosen Händen. Schweigen. Die Moors . Die Herbstfarben, leuchtend wie Glas. Der Wind, der sein geheimes Lied seufzte. Und Schweigen vom schwarzen Herzen des dunklen Felsens meiner Mutter. Die gesamte Welt wartete darauf, dass ich sprach.
Und der stille verborgene Geist
des Weltenherzes umhüllt mich
wie ein Atemhauch,
wie die Umarmung einer Mutter.
»Ich werde dich befreien«, sagte ich und ballte die Hände zu Fäusten.
»Mein Liebling! Du wirst es nicht bereuen.«
»Ich werde dich befreien«, wiederholte ich, »aber vorher muss Laura frei sein.«
Es war nicht die Antwort, die sie hören wollte.
»Aber das wird alles verzögern! Du musst mir vertrauen!«, erwiderte sie verzweifelt. »Ich habe dir gesagt, dass ich Laura von diesem Gefängnis aus nicht befreien kann. Das ist die Wahrheit.«
»Dann werde ich ihr selbst helfen müssen. Und wenn sie in Sicherheit ist und wenn auch meine Freundinnen in Sicherheit sind – dann werde ich zu dir zurückkommen.«
Sie seufzte erneut. Ein Atemzug voller Hoffnung.
»Danke, meine Tochter. Es gibt da etwas, das dir vielleicht weiterhelfen könnte. Wenn du Laura helfen willst, musst du sie erst einmal finden. Das Auge der Zeit bewacht sie. Als ich … von dir und deinen Schwestern ergriffen wurde, ist Laura vor mir geflohen. Jetzt wandert sie an einem der verborgenen Orte zwischen dieser Welt und den Schatten umher. Such beim nächsten Neumond nach ihr, wenn der Himmel dunkel ist und alles wieder von vorn beginnt. Sie ist unter dem Auge der Zeit. Finde das Auge der Zeit, und du wirst Laura finden.«
»Und wo ist dieses Auge? Wo soll ich danach suchen?«, fragte ich, aber in diesem Moment schoss ein schrecklicher Schrei durch mein Gehirn. Ein Bild meiner Mutter blitzte vor mir auf, wie sie in schwarze Flammen gehüllt wurde, und ich spürte ihren Schmerz.
»Mein Meister … sieht … und hört … Er ist wütend auf mich, weil ich dir helfe … Helen … aah! Nein, bitte, nicht noch mehr … bitte … aufhören …«
Ihr Geist hatte sich in dunkle Sphären zurückgezogen, die ich nicht erreichen konnte, und jetzt weinte ich ebenfalls. Ich konnte es nicht ertragen. Lieber hätte ich hundertmal Dr. Franzen gegenübergestanden, als gehört, wie meine Mutter um meinetwillen litt.
Ich sank in den feuchten Farn und schluchzte, bis meine Kehle schmerzte und meine Augen brannten. Nun, ich hatte meine Entscheidung gefällt. Zweifellos hatte die verrückte Helen Black wieder einmal alles falsch gemacht. Alles, was ich tat, führte zu Kummer und Verzweiflung, und ich hatte es verdient zu leiden, wie Dr. Franzen es mir tausendmal erklärt hatte.
Aber der Wanderer hatte mir etwas anderes gesagt. Du bist etwas Besonderes, Helen. Du möchtest, dass das Leben wunderschön ist, und das wird es eines Tages auch sein, das verspreche ich dir. Du wirst glücklich sein …
Der Schmerz in meinem Herzen schien etwas nachzulassen. Ich setzte mich auf und strich mir die Haare aus dem Gesicht. Es wurde spät, und es war Zeit, zur Schule zurückzukehren. Ich war mit solchen Hoffnungen zum Ridge gekommen, hatte mir ausgemalt, wie ich zu meinen Freundinnen zurückkehren und ihnen sagen würde: »Laura ist frei!« Aber so einfach würde es nicht sein. Nichts war einfach, und doch würde ich die Hoffnung nicht aufgeben. Vielleicht würden eines Tages alle Versprechen wahr werden: Celia Hartles Versprechen, mir eine Mutter zu sein; das Versprechen des Wanderers auf Glück und Miss Scrattons Versprechen auf Erlösung. Und ich würde meinen eigenen Schwur halten und Laura helfen. Nur der Tod würde mich davon abhalten können.
Laura. Sie
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