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Das Geheimnis Des Amuletts

Das Geheimnis Des Amuletts

Titel: Das Geheimnis Des Amuletts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gillian Shields
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mit Körper und Seele. Es gab nichts, wohin ich fliegen konnte.
    Als wir die Dorfstraße in Wyldcliffe entlangfuhren, standen zwei alte Frauen vor dem Laden und tratschten miteinander. Die schrillen, aufgeregten Stimmen von Kindern, die im Hof der kleinen Dorfschule spielten, schwirrten durch die Luft. Schon in ein paar Minuten würde die Straße uns zurück zu den unfreundlichen Toren der Abtei führen.
    »Halt an!«, sagte ich, einem Impuls folgend. »Warte – fahr an die Seite.«
    Lynton tat wie geheißen, und dann drehte er sich zu mir um. »Warum? Was ist los?«
    »Du hast mich zu deinem Lieblingsplatz gebracht. Ich möchte das Gleiche tun.«
    Seine Augen leuchteten. »Natürlich. Sicher«, sagte er. »Das ist nur fair.«
    Wir stiegen aus und gingen den Pfad zur Kirche entlang. Der Boden war mit nassem Laub übersät – ein Teppich in Orange, Bronze und Rot. Knorrige Eiben, die die Gestalt von Ungeheuern hatten, bewachten den Eingang zum Friedhof. Ich öffnete das Tor und trat ins Innere, und Lynton folgte mir.
    »Ich komme manchmal hierher, um einfach nur nachzudenken«, sagte ich. »Und um Agnes näher zu sein. Ihr Grab ist dort unten. Ich werde es dir zeigen.« Ich ging zu der Engelsstatue, die über das Grab von Agnes wachte.
    »Lady Agnes Templeton, von Gott geliebt«, las Lynton laut. »Sie ist das Mädchen von dem Gemälde in der Schule, nicht wahr?«
    »Ja.«
    »Ich habe ein paar Leute aus dem Dorf reden gehört – sagen sie nicht, dass sie eine Art Geist ist, der eines Tages nach Wyldcliffe zurückkommen und es retten wird?«
    »Ja, das sagen sie.«
    »Glaubst du das alles, Helen?«, fragte er und sah mich durchdringend an.
    Ich erwiderte furchtlos seinen Blick und erklärte: »Ja. Ja, das tue ich.«
    »Und ich auch.«
    Und dann, für einen Moment, veränderte sich Lyntons Gesicht, als die Strahlen der tiefstehenden Nachmittagssonne darauf fielen. Er schien von einem lodernden Licht umgeben zu sein. Die Vögel in den Bäumen flogen alle gleichzeitig unter lautem Gezwitscher auf, und die Engelsstatue schimmerte herrlich – ich blinzelte, und alles war wieder so, wie es noch kurz zuvor gewesen war.
    »Vielleicht ist dieser Tag nahe«, sagte Lynton. Seine blauen Augen lächelten mich an, und der Friedhof war wieder friedlich. Überall herrschte Ruhe, außer in mir.
    »Dieser Tag? Welcher Tag? Tut mir leid, aber …«
    »Der Tag des Heilens, Helen. Der Zeitpunkt, wenn Lady Agnes triumphieren wird. Wenn alles gut werden wird und alle Dinge in Ordnung kommen.« Er hielt mir die Hand hin. »Komm mit. Gehen wir zur Schule zurück.«
    War ich verrückt? Oder war in diesem Tal von Wyldcliffe tatsächlich alles miteinander verbunden?

Dreiundzwanzig
    Aus dem Tagebuch von Helen Black
21. Oktober
    Auf ein Treffen mit Lynton folgen immer unruhige Nächte. Ich sehe zu, wie der alte Mond kleiner wird, und fürchte den Tag, an dem dieser Wandel abgeschlossen ist und ich mich dem stellen werden muss, was draußen in den einsamen Hügeln auf mich wartet.
    Aber bis dahin ist jeder Moment so kostbar wie eine Perle auf einer Schnur.
    Eines Abends trafen wir uns wie abgesprochen vor einem der Musikzimmer, aber Lyntons Gesicht erhellte sich spitzbübisch, kaum dass er mich sah.
    »Komm mit«, sagte er. »Wir brauchen ein größeres Zimmer. Das Konzert wird schließlich nicht im Übungsraum stattfinden.« Er nahm seinen Flötenkasten und ein Bündel mit Noten und ging einfach los. Ich folgte ihm zum Ostflügel, wo der rote Korridor zu den Gemeinschaftsräumen führte, aber er ging in die andere Richtung, und wir fanden uns vor den verschlossenen Türen des Ballsaals wieder. Lynton schien die Schule so gut zu kennen wie seine Westentasche.
    »Das wäre ein toller Raum zum Singen«, sagte er.
    »Aber er ist immer abgeschlossen«, wandte ich ein.
    »Ist er das?« Lynton strich mit den Fingern über den schweren Messinggriff; es gab ein leises Klicken, und die Tür schwang auf. Er machte eine kleine Verbeugung und flüsterte: »Willkommen in Eurem Königreich.«
    Ich schlüpfte hinein, und Lynton machte die Tür hinter uns zu. Ich war noch nie zuvor in dem Ballsaal gewesen. Der Raum war riesig und wunderschön, aber sämtliche Möbel waren zum Schutz vor Staub mit Tüchern verhüllt, abgesehen von den silbernen Spiegeln, die die Wände säumten und in denen sich alles bis ins Unendliche spiegelte. Schwere Vorhänge voller Spinnweben hingen an den raumhohen Fenstern. Es war die Art Zimmer, in der die verzauberte Prinzessin

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