Das Geheimnis Des Amuletts
darauf wartete, aus ihrem Schlaf erweckt zu werden, oder zumindest hatte ich mir so etwas immer vorgestellt, als ich noch ein Kind gewesen war. Ich fühlte mich sicher hier. Das Schweigen und der Staub und all die vergessenen Jahre schienen uns vor neugierigen Blicken zu schützen.
Lynton nahm meine Gedanken auf. »Es ist okay«, flüsterte er. »Niemand weiß, dass wir hier sind.« Wir standen immer noch direkt hinter der Tür, gingen nicht weiter in den Saal hinein, als hätten wir Angst, einen unergründlichen Traum zu zerstören. Die Vergangenheit lastete so schwer auf allem in Wyldcliffe. Ich fragte mich, ob Agnes hier jemals mit Sebastian getanzt hatte. Und vielleicht waren die Leute aus dem Tal hergekommen, lange bevor es Wyldcliffe gegeben hatte, bevor auch nur die Abtei zum Ruhme des Einen erbaut worden war, und hatten hier getanzt, barfuß im Mondlicht, um den Frühling zu begrüßen.
»Es ist eine Schande, einen Ballsaal so zu verschwenden, ganz besonders jetzt, wo der Weihnachtsball abgesagt worden ist«, sagte Lynton. Er drehte sich zu mir um und reichte mir die Hand. »Tanzen wir.«
»Nein, ich kann nicht.« Ich lachte unbeholfen. »Ich habe noch nie in meinem Leben mit irgendwem getanzt. Ich würde dir auf die Füße treten.«
Lynton lächelte, aber er ließ seinen Arm nicht sinken. »Wirst du mit mir tanzen, Helen?«, fragte er beharrlich. Seine Augen wurden dunkel und ernst, und es schien, als würde er mich noch mehr fragen als nur das.
»Nun ja – ja, wenn du es wirklich willst.«
»Ich möchte es wirklich.«
Ich nahm seine Hand. Einen Moment lang standen wir da, ohne uns zu bewegen, sahen uns an und warteten. Dann führte er mich langsam in die Mitte des hohen, kalten Raumes, und wir bewegten uns gemeinsam in einem gemäßigten, ernsten Tempo, wie mittelalterliche Höflinge. Ich hatte gedacht, mit Lynton hier zu tanzen wäre in etwa so, wie in einer seiner fröhlichen Stimmungen mit ihm herumzutollen, aber das hier war anders. Während wir uns zu den langsamen, düsteren Schlägen unserer Herzen bewegten, fühlte es sich an, als würden wir stumme, zeitlose Schwüre ablegen und offenen Auges in irgendeine tiefe Gefahr hineinmarschieren. Unser Tanz in dem stillen Ballsaal wirkte mehr wie eine Beerdigungsprozession, ein feierliches Opfer, ein Totentanz.
Ich entzog mich Lynton und stolperte dabei, verrenkte mir den Knöchel. »Tut mir leid – entschuldige«, sagte ich, als ich das Gleichgewicht wiedererlangte. »Ich bin in so was nicht sehr gut. Ich habe dich gewarnt.«
»Nein, es ist mein Fehler. Ich wollte nicht … aber es spielt keine Rolle.« Sein Gesicht wurde weicher, als er lächelte. »Vielleicht wirst du eines Tages wieder mit mir tanzen, wenn du dich entschieden hast, mir zu vertrauen. Und dann werden wir wirklich fliegen. Was denkst du?«
»Ich denke, dass ich als Tänzerin ein hoffnungsloser Fall bin.« Ich zuckte mit den Schultern. »Wie auch immer, wir können nicht die ganze Nacht hierbleiben. Sollten wir nicht allmählich mit der Probe beginnen?«
»Natürlich.« Lynton wandte sich ab und blätterte durch seine Mappe mit den Noten, bis er die gefunden hatte, die er brauchte. »Schau, da vorn am anderen Ende des Saals ist ein Klavier. Das nehmen wir jetzt, und dann wird die Musik sich ganz anders anfühlen.«
Am anderen Ende des Ballsaals stand ein großes, mit staubigen Tüchern abgedecktes Klavier auf einer niedrigen Plattform in der Ecke. Lynton schob die Tücher zur Seite und schlug ein paar Tasten an. Erstaunlicherweise klangen die Töne noch immer richtig, wenn auch etwas gedämpft, als wäre selbst die Musik dieses Instruments durch das Verstreichen der Zeit weicher geworden. Er spielte schwungvoll ein paar Tonleitern, dann hielt er inne. »Sobald du bereit bist«, sagte er.
Ich hatte mich bisher nie unsicher gefühlt, wenn ich vor Lynton gesungen hatte, nicht in dem kleinen Übungsraum, während er mich auf der Flöte begleitet hatte. Aber hier, in diesem großen Saal und mit Lynton an dem großen Klavier, fühlte sich alles anders an.
»Ich glaube nicht, dass ich das wirklich schaffe«, sagte ich zögernd. »Ich meine, vor der ganzen Schule ganz allein zu singen. Meine Stimme ist nicht brillant. Ich will nicht, dass alle mich ansehen.«
»Helen, alles wird gut gehen, mach dir keine Sorgen.« Lynton stand wieder neben mir. »Und was immer passiert, ich bin gleich da, neben dir.«
Ich sah zu ihm auf. Sein Gesicht war blass, aber seltsam erhellt, als würde
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