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Das Geheimnis Des Amuletts

Das Geheimnis Des Amuletts

Titel: Das Geheimnis Des Amuletts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gillian Shields
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sich ein unsichtbarer Sonnenaufgang darin spiegeln. Da war etwas Beunruhigendes an der Art und Weise, wie er mich ansah, etwas, für das ich nicht bereit war.
    »Wer bist du?«, fragte ich ihn, und meine Stimme zitterte.
    »Ich bin der glücklichste Junge auf der ganzen Welt«, antwortete er leise. »Weil ich dich wiedergefunden habe.«
    »Wiedergefunden?«
    Er wandte den Blick ab. »Ich bin dir in meinen Träumen begegnet. Ich habe an dich gedacht, wollte dich finden.« Seine Stimme verebbte zu einem Flüstern. »Zwei-, dreimal liebte ich dich schon, als fremd mir noch dein Name und Gesicht …«
    Ich erkannte die Verse, und ich kannte auch den Rest, murmelte die Worte fast automatisch als Antwort: »Verzückt wie wenn ein Engel zu uns spricht, als körperlose Flamme oder …« Aber mein Verstand raste. Sprach Lynton ernsthaft von Liebe? Sprach er wirklich von mir? Und noch etwas anderes machte mir Sorgen.
    »Wie hast du die Tür aufgemacht?«, fragte ich abrupt. »Sarah hat gesagt, dass dieser Raum immer abgeschlossen ist.«
    Er sah mich nicht an, sondern sprach still zu sich selbst. »Es gibt viele Arten von Schlüsseln. So, wie es viele Arten von Liebe gibt. Die Liebe einer Tochter zu ihrer Mutter. Die Liebe, die wir gegenüber Freunden empfinden. Und dann ist da die Liebe, die über die Grenzen dieser Welt hinaus bestehen bleibt.« Er sah mich an; seine Augen waren klar und blau und aufrichtig. »Bist du bereit dafür, Helen?«
    Über die Grenzen dieser Welt hinaus … wer war er? Lynton legte mir sanft die Hände auf die Schultern und zog mich näher zu sich heran. Mein Herz fing an zu klopfen. Ich war fest davon überzeugt, dass er mich küssen wollte. Ich fühlte mich plötzlich schüchtern und dumm und nutzlos. Mein Körper fühlte sich unbeholfen und ungeschickt an. Nein, ich war nicht bereit. Tanzen – Liebe – Küsse –, das war einfach zu viel, ging zu schnell. Ich konnte die Vorstellung nicht ertragen, dass all dies für ihn vielleicht nur ein Zeitvertreib und ganz und gar nichts Ernsthaftes war. Und doch, wenn er es ernst meinte, wenn es nicht nur ein Traum war …
    Nein, ich war ganz und gar nicht bereit. Ich drehte mich um und lief weg.
    »Helen! Helen! Es tut mir leid.«
    Ich sah mich nicht um. Ich rannte aus dem Ballsaal und den Korridor entlang, riss die erste Tür auf, die ich fand und die in den beschatteten Garten führte. Ich lief über die schwarze Wiese zum See, blieb dann keuchend am Ufer stehen, sah zum abnehmenden Mond hoch. Mein Mund war trocken. Ich wusste nicht, was ich tun oder denken sollte. Ich musste allein sein. Meinte Lynton, was er gesagt hatte? Konnte er möglicherweise derjenige sein, von dem Miss Scratton mir erzählt hatte?
    Aber wenn er derjenige war, wieso hatte ich dann Angst? Oh, ich hatte keine Angst vor Lynton, das könnte ich niemals, aber ich hatte davor Angst, fallengelassen zu werden, wieder verletzt zu werden. Und was machte mir eigentlich am meisten Angst, die Vorstellung zurückgewiesen zu werden – oder angenommen zu werden?

Vierundzwanzig
    Aus dem Tagebuch von Helen Black
22. Oktober
    Ich sollte an nichts anderes als an Laura und meine Mutter und unsere Aufgabe denken. Ich muss über meine Freunde wachen. Ich muss dafür sorgen, dass Velvet nichts tut, mit dem sie sich selbst oder anderen schaden könnte. Ich sollte Sarahs Beispiel folgen und das Buch herausholen und darin nach Hilfe suchen. Verglichen damit ist all diese – diese Genusssucht – unbedeutend. In wenigen Tagen ist Neumond. Wir müssen uns vorbereiten. Dies ist mein Schicksal. Die Liebe ist nicht meine Bestimmung.
    Ein Fremder klopft an und sagt: »Lass mich ein«,
aber die Prinzessin ist tief im Innern eingeschlossen.
»Schade!«, ruft sie. »Wie schade für mich,
ich liebe mein dunkles Gefängnis und werde nie frei
sein können.«
    Ich muss Lynton sagen, dass ich mich nicht mehr mit ihm treffen kann.
    Ich war fest entschlossen, die Sache mit Lynton ein für alle Mal zu beenden. Und ich dachte, es würde leicht sein.
    Ich beschloss, ihm zu sagen, dass ich zu nervös war, um in einem Konzert ein Solo zu singen, und dass ich einfach im Chor mit den anderen singen würde. Deshalb würde ich mit ihm auch nicht mehr proben müssen. Zwei weitere Tage vergingen, und unsere nächste Probe stand an. Bevor ich Lynton im Übungsraum traf, ging ich zum See hinunter; ich kämpfte immer noch mit mir, versuchte den Mut für das aufzubringen, was ich zu tun hatte. Es dämmerte inzwischen, und das feine

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