Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Geheimnis Des Amuletts

Das Geheimnis Des Amuletts

Titel: Das Geheimnis Des Amuletts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gillian Shields
Vom Netzwerk:
Gesichter gesehen und ihre Stimmen gehört. Was Lynton sagte, war für mich nicht so einfach von der Hand zu weisen.
    »Also geschieht alles zur gleichen Zeit?«, sagte ich.
    »Das ist eine Möglichkeit, es zu beschreiben. Alles ist ein einziges ›Jetzt‹, wenn man es nur erreichen könnte, wie ein ewiger Herzschlag. Schau her.« Er nahm seine Hand weg und zog sich einen Ring, den ich noch nie zuvor gesehen hatte, vom kleinen Finger. Er hielt den Ring hoch ins Licht der Laterne. Im Innern des Goldreifs verlief eine schwache Gravur. Die Worte sagten JETZT UND JETZT UND JETZT UND … Es war unmöglich zu erkennen, wo es begann und wo es endete. Ein endloser Kreis der Zeit.
    »Helen, lass mich dich wiedersehen«, bat er, während er sich den Ring wieder an den Finger steckte. »Schließ mich nicht aus. Mach mit, was diese Konzertidee angeht, denn es bedeutet, dass wir Zeit miteinander verbringen können. Jeder Augenblick ist kostbar. Jedes einzelne ›Jetzt‹. Und du musst mir nicht alles über deine Vergangenheit erzählen, wenn du das nicht willst. Ich weiß auch so schon alles über dich, was wichtig ist.«
    »Tust du das?«, fragte ich verblüfft.
    »Dass du darum kämpfst, den Leuten zu vergeben, die dich verletzt haben. Dass du dich niemals selbst richtig geliebt hast, weil niemand anderes dich geliebt hat. Dass du wunderschön bist …«
    »Hör auf.«
    »Ja, das bist du. Und nicht nur äußerlich, sondern im Innern, wo die Schönheit von Dauer ist. Abgesehen davon, wo steht geschrieben, dass du jemanden jahrelang kennen musst, um ihn wahrhaft zu kennen? Spielt es eine Rolle, dass ich nicht weiß, was dein Lieblingsessen war, als du ein Kind warst, oder dass du den Namen des Kaninchens nicht weißt, das ich hatte, oder wo ich meine Urlaube verbracht habe? Nichts davon ist jetzt noch wichtig, oder? Helen, du sagst, dass wir uns gerade erst begegnet sind – aber sag, was siehst du, wenn du mich siehst?«
    Ich zwang mich, Lynton anzusehen, sein empfindsames, sich immer wieder veränderndes Gesicht anzusehen, das Licht in seinen Augen zu sehen. Und ich sagte die Wahrheit, weil jede Lüge ein winziger Tod ist. »Ich sehe dich«, sagte ich unsicher. »Ich sehe den Menschen, mit dem ich lieber als mit allen anderen auf der Welt zusammen sein würde. Ich sehe …« Und dann schluckte ich meinen Stolz hinunter und sprach eine weitere Lüge aus. »Ich sehe meinen Freund.« Wenn Freundschaft alles war, was er mir bieten konnte, würde ich sie dankbar annehmen und nichts weiter erbitten.
    Ein weiteres Schweigen entstand. Lynton nahm meine Hand, dann ließ er sie so schnell wieder los, als hätte er sich die Finger verbrannt. Er schien mit etwas zu kämpfen. Er sah nach unten und steckte die Hände in die Taschen.
    Schweigen. Warten. Schweigen.
    »Dann sind wir also Freunde«, sagte er schließlich mit einem tiefen Atemzug. »Damit wäre das geklärt.«
    Aber das war nicht das, was ich wirklich wollte, nicht in diesem Augenblick.
    Als ich in dieser Nacht in mein Tagebuch schrieb, legte ich die weiße Rose vorsichtig zwischen die Seiten, um sie für immer aufzuheben. Eine Erinnerung an das, was hätte sein können. Doch dann zerrupfte ich die zarte Blüte plötzlich und warf die Blütenblätter weg wie bittere Tränen.

Fünfundzwanzig
    Aus dem Tagebuch von Helen Black
27. Oktober
    Ich kann mit Lynton einfach nicht nur befreundet sein. Ich versuche es, aber jedes Mal, wenn wir uns treffen, wird es noch ein Stück schwieriger. Und ich glaube auch nicht, dass er das wirklich meint, wenn er davon spricht, »nur Freunde« sein zu wollen. Seine Worte sagen das eine, aber seine Augen sagen etwas anderes.
    Wenn wir das Lied einstudieren, hört er mittendrin auf zu spielen, und ich ertappe ihn dabei, wie er mich eingehend ansieht. Seine Hand streicht über meine, wenn er mir etwas in den Noten zeigen will. Er steht neben mir, wenn er mir Atemübungen zeigt. »Der Atem ist alles«, sagt er, und er ist mir dabei so nah, dass ich den Wind riechen kann, der seine Haare zerzaust und an diesem Tag seine Haut gestreichelt hat. Er behält mich da, um zu reden, stellt mir Fragen, bringt mich zum Lachen, erzählt Geschichten. Und dann packt er alles zusammen und sagt, dass es Zeit ist zu gehen, und geht eilig weg und verwandelt sich wieder in einen Fremden.
    Ich werde Sarah und Evie nicht mehr lange verheimlichen können, dass es ihn gibt. Ich habe ihnen gesagt, dass Mr. Brooke für den Konzertabend eine Begleitung für mich arrangiert hat.

Weitere Kostenlose Bücher